Mit Interesse und Vorfreude, mit Wachheit und Erwartung brechen wir ins Heilige Land auf. „Ich freute mich, als man mir sagte: / ‚Zum Haus des Herrn wollen wir pilgern.’ Schon stehen wir in deinen Toren, Jerusalem. Jerusalem, du starke Stadt, / dicht gebaut und fest gefügt. Dorthin ziehen die Stämme hinauf, die Stämme des Herrn, / wie es Israel geboten ist, / den Namen des Herrn zu preisen. Denn dort stehen Throne bereit für das Gericht, / die Throne des Hauses David. Erbittet für Jerusalem Frieden! / Wer dich liebt, sei in dir geborgen. Friede wohne in deinen Mauern, / in deinen Häusern Geborgenheit. Wegen meiner Brüder und Freunde / will ich sagen: In dir sei Friede. Wegen des Hauses des Herrn, unseres Gottes, / will ich dir Glück erflehen.“ (Ps 122)
Das fünfte Evangelium
In Europa gilt das Christentum teilweise als Auslaufmodell, das Evangelium als etwas Museales. In welcher Form können wir in Israel Jesus besser kennen und IHN je mehr lieben lernen? Wenn nur noch Steine Zeugnis von der Zeit Jesu geben würden und nicht mehr lebendige Christen in der Gegenwart, dann wäre das Heilige Land für uns bestenfalls noch ein Museum. Eine museale Landschaft könnte uns nicht zu den Wurzeln des Glaubens zurückführen. Wenn wir ausschließlich historisch kritisch an die Perikopen wie jene von der Brotvermehrung herangehen würden, dann wäre das noch keine lebendige Begegnung des Glaubens. Und doch: Dinge haben ihre Geschichte und oft auch ihre Tränen. Orte haben ihre Symbolik wie Nazaret als Ort der Menschwerdung des Sohnes Gottes, aber auch als Symbol für die Gegenwart Gottes im Alltag, bei der Arbeit, in der Gewöhnlichkeit und Unscheinbarkeit, in den Enttäuschungen. Davon ist in den Evangelien recht wenig zu lesen, aber: „Omnis actio Christi nobis est instructio.“ (Thomas von Aquin) Orte sind hier im Heiligen Land unlösbar mit Gesten und Worten verbunden. Es gehört zu den die ganze Botschaft, das ganze Leben bündelnden Gesten, dass Jesus Brot nahm, zum Himmel blickte, den Lobpreis sprach, die Brote brach und sie den Jüngern gab.
Wenn wir die Inhalte des Glaubens nicht psychologisierend auflösen wollen, wenn wir Jesus Christus nicht in einem gnostischen Refugium ansiedeln wollen, wenn wir den Leib nicht verraten wollen, dann dürfen wir nicht von der biblischen Geographie, von den Dingen und Gesten abstrahieren. Heilige, die eine besondere Liebe zur Menschheit Jesu entwickelt haben wie Bernhard von Clairvaux oder Ignatius von Loyola wollten buchstäblich in die Fußstapfen Jesu treten und die Dinge oder auch die Orte, die Jesu berührt hatte, küssen. Orte haben ihre Botschaft, Dinge ihre Kraft, Elemente ihr Kraftfeld, Räume ihre geistliche Atmosphäre, auch wenn das physikalisch nicht messbar ist. So ist es nicht nur eine Übung für Anfänger im geistlichen Leben, sich die Orte des Lebens Jesu zu vergegenwärtigen und bei der Betrachtung einer Perikope den Schauplatz aufzubauen. Die „compositio loci“ ist in den ignatianischen Exerzitien Ausdruck dafür, dass Gott Raum gibt und die Zeit erschaffen hat. Wir dürfen die Länge und Breite, die Höhe und Weite, die Tiefe und den Horizont der Landschaft in Galiläa ermessen, die Wärme oder die Kühle des Windes oder des Sees erspüren und Elemente wie Steine oder das Wasser berühren. Zur inkarnatorischen Dimension des Glaubens gehört die Anwendung der Sinne: das Schauen, Hören, Riechen, Tasten und Schmecken dessen, was sich in einem Ereignis und in den Begegnungen Jesu abspielt. Und wir können die Interaktionen zwischen den Beteiligten betrachten. Also hören, was sie sagen, empfinden, wie sie sich bewegen, vergegenwärtigen ihre Sehnsucht und Offenheit oder auch ihre Hilflosigkeit und Abweisung. Von Jesus heißt es, dass er hört, fährt, ausstieg, sah, Mitleid hatte, Kranke heilte, antwortete, nicht wegschicken wollte, den Auftrag gab: gebt ihr ihnen zu essen, die Brote, die da sind, herbei bringen lässt, sie segnete, brach, teilte und den Jüngern gab. Anwendung der Sinne bedeutet, dass wir das Evangelium mit allen Säften und Kräften aufnehmen, dass uns die Denk-, Hör-, Sehweise Jesu, sein Fühlen und seine Beziehungen in Fleisch und Blut übergehen, letztlich, dass wir in den Leib Christi hinein genommen und in ihn verwandelt werden.
Das sechste Evangelium – Das Buch des Lebens
„Das Evangelium ist das Buch des Lebens des Herrn und ist da, um das Buch unseres Lebens zu werden. ... Die Worte der menschlichen Bücher werden verstanden und geistig erwogen. Die Worte des Evangeliums werden erlitten und ausgehalten. Wir verarbeiten die Worte der Bücher in uns, die Worte des Evangeliums durchwalken uns, verändern uns, bis sie uns gleichsam in sich einverleiben. ... Wenn wir unser Evangelium in Händen halten, sollten wir bedenken, dass das Wort darin wohnt, das in uns Fleisch werden will, uns ergreifen möchte, damit wir – sein Herz auf das unsere gepfropft, sein Geist dem unsern eingesenkt – an einem neuen Ort, zu einer neuen Zeit, in einer neuen menschlichen Umgebung sein Leben aufs neue beginnen.“ „Verwirkliche das, was du vom Evangelium begriffen hast - sei es auch noch so wenig.“ (Roger Schutz) Der Gründer der Taizé Kommunität, gab es immer wieder den Jugendlichen, die nach Taizé kamen, zu verstehen: „Das einzige Evangelium, das die Menschen von heute noch lesen, ist das Evangelium eures Lebens”. - Neben dem Land sind die ortsansässigen Christen ein „sechstes Evangelium“. Sonst wäre das das Hl. Land oder ein Disney Land. Die Christen werden hier gebraucht.
Talitha Kumi in Beit Jala
ist eine außergewöhnliche Schule, die ihre gesamte pädagogische Arbeit als Friedensarbeit sieht. Zum Bildungszentrum Talitha Kumi in Beit Jala bei Bethlehem gehören ein Kindergarten, eine Schule von der ersten Klasse bis zur Hochschulreife, eine Hotelfachschule, ein Mädcheninternat und ein großes Gästehaus. Alle Einrichtungen befinden sich auf einem ca. 10 ha großen Gelände auf einer bewaldeten Anhöhe 10 km südlich von Jerusalem. Talitha Kumi ist aramäisch und bedeutet: „Mädchen, steh auf!“ (Mk 5, 41). Dieses Jesuswort ist bis heute Name, Programm und Auftrag für die älteste evangelische Schule in Palästina, die 1851 gegründet wurde. Seit dieser Zeit ist die friedliche Botschaft des Evangeliums die Leitlinie für Talitha Kumi. Das Bildungszentrum bietet palästinensischen Mädchen und Jungen in einem konfliktgeladenen Umfeld einen sicheren Platz zum Lernen. - Im Gespräch zwischen Palästinensischen und Tiroler Jugendlichen wird ein kultureller Kontrast im Alltag deutlich: Essen, Kleidung, Partnerwahl, Religion… Man bekommt den Eindruck, dass es in Beit Jala keine Vergnügen wie Disco oder Kino gibt, Feste werden wohl gefeiert. Es gibt auch keinen Staat mit der Jugendfürsorge, der einspringt, wenn die Eltern ausfallen oder wenn es Gewalt in der Familie gibt. Was in den modernen Staaten und Gesellschaften der Staat macht, liegt hier in der Verantwortung der Großfamilie. Frage: Was passiert einem (einer), die sich als nicht religiös definiert? Das ist gar nicht vorgesehen. In Israel ist der Islam viel stärker säkularisiert als im Westjordanland. - Die Begegnung und das Miteinander von christlichen und muslimischen Jugendlichen ist in Bet Jala selbstverständlich. Mit jüdischen Jugendlichen geht es nur im Ausland auf der Ebene internationaler Beziehungen. Einige sehen die Schule als gute Voraussetzung, dass sie etwas für ihr Land tun können, für andere ist es klar, dass sie nach dem Abitur auswandern.
Bethlehem – Israel – Palästina
Begegnung und Gespräch mit dem Pfarrer von Beit Jala, mit dem ehemaligen Regens des Priesterseminars und mit Mitri Raheb, dem lutherischen Pfarrer von Bethlehem: Der Prozentsatz der Christen ist im Sinken, es sind inzwischen weniger als 2% in Palästina. Das liegt an der Niedrigen Geburtenrate der Christen (1,9 pro Paar) und auch an der Auswanderung (v. a. Kanada, USA). In 51 Jahren gab es neun Kriege. Die Arbeitslosenrate ist enorm hoch. Die Bevölkerung ist extrem jung (55% unter 18 Jahren). Christen führen 1/3 der Krankenversorgung in der Westbank. 45 % der NGO’s werden von Christen getragen. Wenn es die Christen nicht gäbe, so wäre das land viel ärmer.
Israel hat Fakten geschaffen, durch den Mauerbau und durch die Siedlungen. Durch den Mauerbau können die Städte nicht wachsen. Kinder wachsen mit Mauern auf. Es wird unheimlich viel gebaut. Die Mauer verändert den Alltag der Palästinenser: wirtschaftlich, weil es keine Möglichkeit gibt, zum Arbeitsplatz zu gelangen, landwirtschaftlich, weil die Wege zu den Olivenhainen sehr weit bis unüberwindlich werden, gesundheitlich, weil der Transport in ein Krankenhaus so kompliziert wird, weil viele vitale Lebensadern abgeschnitten werden. Gibt es keine Hoffnung für den Frieden? Ist die Gegenwart ausschließlich ein Verblendungszusammenhang, weil alle schon „handicaped in mind“ sind? Es gibt auch Alltagsgeschichten der gegenseitigen Achtung, des gegenseitigen Verstehens, des Miteinanders über die Mauer hinweg. Es gibt den Willen zum Bleiben angesichts von Schikanen, wenn das eigene Haus auf allen Seiten von einer Mauer umgeben ist, wenn der normale Zugang ins Heim blockiert ist, wenn die Bedrohung sehr handgreiflich ist. Das Bleiben lebt aus einer inneren Kraft, aber auch von der internationalen Präsenz und Solidarität. Es sind Spuren der Hoffnung, wenn israelische Gruppen für die Rechte der Palästinenser eintreten, wenn sie die Bevölkerung achten. Die Angehörigen des „parents circle“ (Israelis und Palästinenser, die in der gewalttätigen Auseinandersetzung Kinder oder Angehörige verloren haben) zeigen, dass es möglich ist, zusammen zu sitzen, zu reden, einander zu verstehen, zuzuhören. Sie verändert leise durch ihre Begegnungen, durch Zuhören, durch Gespräche und Sitzungen, und auch durch ihre Tätigkeit in Schulen die Situation. Es sind nicht nur die abgründigen Augen der Hoffnungslosigkeit, in die wir blicken. Es gibt bei all der beklemmenden Situation und in der belasteten Atmosphäre eine kreative Kultur und eine Spiritualität, die in der Gegenwart Freiräume, Hoffnungsräume und Wachstumsräume eröffnet. Menschen managen ihr Leben, bewältigen das Leben in einer Atmosphäre der Gewalt. Das Leben ist für sie nicht nur Mauer, nicht nur Gewalt, nicht nur Frustration. Sie haben eine soziale Basis und auch ein Familiennetzwerk. Der jugendliche Geist lässt ein Lächeln hervor. Sie entwickeln Dinge, um froh zu sein und lernen, sich normal auf der Straße zu bewegen. In der Werkstätte OASIS in Beit Sahour bei Bethlehem gibt es Schonräume für Menschen mit Behinderung, Räume der Anerkennung, in denen das Selbstwertgefühl von Behinderten entfaltet wird, z.B. beim Gestalten von Karten oder von Kerzen. Diese Oase ist ein neues Bethlehem. Wir hören von einer „Pädagogik der Hoffnung“ angesichts der Herausforderung der Mauer (wall), angesichts der Aggression und der Hoffnungslosigkeit. Diese Pädagogik der Hoffnung führte zuerst zu Demonstrationen gegen die Mauer, dann zu künstlerischen Formen in Musik, Kunst und Theater. Es gibt Wallfahrten, Pilgerfahrten entlang der Mauer, Nonnen, die ihre täglichen Rosenkranz an der Mauer beten. Auch Religionsgespräche zwischen Juden, Muslimen und Christen haben schon an der Mauer stattgefunden. Das alles lässt sich nicht harmonisieren, weder in die eine Richtung, dass es ohnehin nicht so schlimm ist, noch in die andere, dass alle Pflanzen des Lebens und der Hoffnung von vornherein zerstört werden. In der Wahrnehmung bleiben, d.h. auch hin und her zu gehen und es auszuhalten, dass es keine eindeutige Interpretation der Lage gibt. Die Wirklichkeit ist höchst komplex.
Mitri Raheb will auf palästinensischer Seite Fakten schaffen durch Bildung und durch die Schaffung von Arbeitsplätzen, nicht zuletzt im Tourismus. Mehr christliche Pilger auch in der Westbank schaffen Arbeit. Er möchte nicht wie die Frauen am Grab jammern. Jesus hat zu seiner Zeit auch nicht in einer besseren Situation gelebt. Christus ist nicht in den Ruinen zu finden, sondern als Auferstandener unter den Seinen. Der Auferstehungsglaube und die damit verbundene Hoffnung zeigen sich z.B. im Pflanzen von Olivenbäumen (vgl. Luther pflanzt einen Apfelbaum im Angesicht des Todes). Die Liebe, wie sie vom Dokument Kairos Palästina gefordert wird, zeigt sich in der Feindesliebe, im kreativen und im gewaltlosen Widerstand. Man will auf dem Wege des Rechts Menschenwürde und Gerechtigkeit für die Palästinenser einklagen, z.B. mit der Klage gegen den Mauerbau bzw. Mauerverlauf bei Cremisan. Es gibt in Palästina heute zu viel Politik und zu viel Religion (im Sinne von Karl Barth). Es braucht mehr Glaube und mehr Spiritualität
Europäische Christen können den Christen im Heiligen Land helfen durch ihr Gebet, durch die Weitergabe von Erfahrungen (Augenzeugen), durch Pilgerfahrten auch in die palästinenischen Gebiete und durch das Schaffen von Fakten (Krankenhäuser, Schulen)
Bethlehem – Hirtenfelder Bet Sahur und Geburtskirche
Die Demut der Menschwerdung Jesu ergriffen den ganzen Eifer, seine Wachsamkeit, die Sehnsucht seines Geistes und die ganze Glut des Herzens von Franz von Assisi. So feierte er 1223 in Greccio Weihnachten: „Ich möchte nämlich das Gedächtnis an jenes Kind begehen, das in Bethlehem geboren wurde, und ich möchte die bittere Not, die es schon als kleines Kind zu leiden hatte, wie es auf Heu gebettet wurde, so greifbar als möglich mit leiblichen Augen schauen.“ Greccio wurde ein neues Bethlehem. Weihnachten wurde für Franz von Assisi und auch für die Menschen und Tiere um ihn herum zu einem Tag der Freude und zu einer Zeit des Jubels. Das Kind von Bethlehem war in vielen Herzen vergessen, es wurde durch Franziskus wieder erweckt. Von diesem Geschehen ging damals Heilung aus für Mensch und Tier. - Der Aufbau des Schauplatzes, das Hineindenken in die Personen, in Maria, Josef, die Hirten, die Engel, die Weisen möge unsere Beziehung zu Jesus Christus selbst stärken. Die Begegnung mit Bethlehem möge unser Leben heil werden und unsere Lebensfreude und unsere Hoffnung wachsen lassen. Und: Die Krippen mögen ein Anstoß sein, gegenwärtigen Herbergssuchern Gastfreundschaft zu gewähren. „In dir muss Gott geboren werden. Wir Christus tausendmal zu Bethlehem geboren und nicht in dir, du bleibst noch ewiglich verloren.“ (Angelus Silesius)
Aus dem Memoriale des Seligen Peter Faber vom 25.12.1542: „In der ersten Messe, als ich mich vor der Kommunion kalt fühlte und betrübt war, dass meine Wohnung nicht besser bereitet sei, da vernahm ich in meinem Herzen folgende Antwort: Das bedeutet, dass Christus in einen Stall kommen will. Wenn du nämlich schon glühend wärest, fändest du jetzt deinen Herrn in seinem Mensch-sein nicht, denn du sähest in deinem Innern viel weniger einem Stall ähnlich.“ So fand ich meinen Trost im Herrn, der in ein so kaltes Heim zu kommen geruhte. Ich wollte mein Heim geschmückt sehen, um daran einigen Trost zu haben; statt dessen sah ich das Los Unseres Herrn und ward darob getröstet.“ Weihnachten findet nicht nur statt, wo alles perfekt ist, wo vieles inszeniert wird, aufgeführt wird. Näher am Kind in der Krippe sind andere, die zunächst etwas nicht können, nicht singen, nicht sprechen, nicht hören.
Die Geburtskirche Jesu in Bethlehem ist ziemlich verrußt und renovierungsbedürftig. Sie steht im Spannungsfeld zu einer dominanten Moschee direkt gegenüber auf dem Platz vor der Kirche. Die Mauer, die Israelis und Palästinenser voneinander trennen soll, ist in Sichtweite. Viele, besonders Jugendliche sind arbeitslos. In den letzten Jahrzehnten ist ein Großteil der Christen ausgewandert. Und da ist Jesus geboren worden, da wird er auch heute geboren.
Mit der Geburt Jesus sagt Gott ganz leise: In die Lichtblicke deiner Hoffnung und in die Schatten deiner Angst, in die Enttäuschung deines Lebens und in das Geschenk deines Zutrauens lege ich meine Zusage: Ich bin da. - In das Dunkel deiner Vergangenheit und in das Ungewisse deiner Zukunft, in den Segen deines Wohlwollens und in das Elend deiner Ohnmacht lege ich meine Zusage: Ich bin da. -In das Spiel deiner Gefühle und in den Ernst deiner Gedanken, in den Reichtum deiner Schweigens und in die Armut deiner Sprache lege ich meine Zusage: Ich bin da. -In die Fülle deiner Aufgaben und in deine leere Geschäftigkeit, in die Vielzahl deiner Fähigkeiten und in die Grenzen deiner Begabungen lege ich meine Zusage: Ich bin da. - In die Freude deines Erfolgs und in den Schmerz deines Versagens, in das vertrauen deines Suchens und in das Da-sein deines Betens lege ich meine Zusage: Ich bin da. - In das Glück deiner Begegnungen und in die Wunden deiner Sehnsucht, in das Wunder deiner Zueignung und in das Leid deiner Ablehnung lege ich meine Zusage: Ich bin da. - Ich die Enge deiner Alltags und in die Weite deiner Träume, in die Kräfte deines Herzens und in dein Lieben lege ich meine Zusage: Ich bin da – ja, Ich bin da.
Das Wort des Lebens, nämlich unbedingt geliebt zu sein, können wir nicht durch eigenes Leisten, Schuften und Machen produzieren. Wir dürfen es uns von Gott sagen und schenken lassen. Dieses Wort des Lebens ist auch ein Wort, das in Anspruch nimmt, unbedingt verpflichtet. Durch die Menschwerdung Gottes erkennen wir in jedem Mitmenschen den Nächsten, den Bruder, auf dessen Stirn das Hoheitszeichen der Liebe Gottes geschrieben ist. „Seitdem Gott Mensch geworden ist, ist es uns versagt, vom Menschen gering zu denken. Wir würden von Gott selbst schlecht denken.“ (Karl Rahner) „Was ihr auch nur einem von meinen geringsten Brüdern getan habt, habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40).
Ich habe dich in die Wüste geführt. (Hos 2,16)
Die Wüste ist eine Denklandschaft, aber auch eine Gefühlslandschaft mit greller Sonne und Dunkel, Hitze und Kälte, mit Trübheiten, langen trostlosen Ebenen, aber auch mit weichen Tönen, Eleganz, Charme und erotischen Rundungen. Sie führt an steile Aufstiege und gefährliche Abhänge. Sie kennt die Weite, die aus der Ebene herausführt, und eröffnet Horizonte und Perspektiven. Sie fährt aber auch in Weiten, die trostlos sind, Ebenen, die keine Konturen und keine Orientierung mehr kennen, wo alles eingeebnet, gleich gewalzt ist. Geistliches Leben findet in der Wüste seine Ausdrucksformen: Leere, Chaos, Trübseligkeit, Akedia, Armut, Weiselosigkeit, Gelassenheit, Kargheit, Schweigen. Sie ist ödes Land, un-erfahrbar, un-gehbar, un-lebbar. Sie führt in das größere Geheimnis Gottes, der sich auf kein Idol festlegen lässt. Die Wüste ist ver-wüstete, verkarstete Landschaft des Todes, in der nichts mehr wächst, nichts mehr Wurzeln schlagen kann, aber auch Ort der Freiheit. Sie ist Ausweg (Exodus) aus Manipulation und Heteronomie. Sie läutert, zeigt Vorurteile, Ideologien und Verblendungen auf In der Wüste folgen Trost und Trostlosigkeit aufeinander, kaputte Landschaften und Traumlandschaften. Beide Seiten brauchen einander, um zur Erfahrung, zur Geltung zu kommen. Die Landschaft spiegelt die weichliche, zerfurchte, entwurzelte, seelenlose, aber auch die spannungsgeladene, aufmerksame, farbige, sich aufschwingende, lichtvolle Seele wider.
Gerade in Erfahrungen der Wüste gilt es, eine Berufung, einen neuen Auftrag wahrzunehmen (1 Kön 19. Elija). Erst wenn ich mich angesichts des Nichts, der Leere, des Umsonst, der Trockenheit, des Ausfalls von Gegenseitigkeit für einen Menschen, für eine Aufgabe, für Gott entscheide, erst dann ist die existenzielle Basis, die Grundlosigkeit Gottes erreicht. Die Wüste ist Ort der Entscheidung zwischen Gott und Götze, Freiheit oder Regression, Lauterkeit oder Naschen, Manna oder ägyptischen Fleischtöpfen, zwischen der unendlichen Leere der Sehnsucht oder den Schmeicheleien des Augenblicks, zwischen dem Hl. Geist oder Dämonen, zwischen Realität oder Träumereien. Die Wüste beantwortet keine Fragen, sie fordert zum Bestehen, zum Aushalten, zum Verweilen, zur Beharrlichkeit und zum Bleiben heraus. Sie stellt Fragen nach den Quellen des Lebens, nach dem Orientierungssinn, aber auch nach Abhängigkeiten und Klebrigkeiten. Sie lockt in die Einsamkeit, in die Intimität der Beziehung, in die ausgesetzte, ungeschützte Transparenz vor Gott. Sie verführt, die Leere durch Beschäftigungen, goldene Kälber zu füllen. Ihre dämonische Kehrseite ist der Exodus ohne Bleibe, eine vagabundierende Existenz ohne Lebensfreude und ohne Gastfreundschaft.
Gott ist wie Brot für den Hunger in der Wüste, wie Wasser für den Durst, wie eine Berührung in der Leblosigkeit, wie Licht im Dunkel, wie Feuer in der Kälte, wie ein Stern in der Orientierungslosigkeit, wie die Weite in der Enge der Angst, wie eine offene Tür in der Verschlossenheit. Er ist aber nicht einfach Mittel zum Zweck, Material unserer (Selbst-)Befriedigung. Die Sehnsucht nach ihm darf nicht einbahnig werden. Sie muss sich umpolen lassen in die Bereitschaft, sich von Gott suchen und finden zu lassen.
Ich will euer Gott sein und ihr sollt mein Volk sein (Gen 8,20-9,17; Gen 15,6; Gen 17,1-9; Dtn 17,1-9; Dtn 26, 1-11; Jes 11; Jes 12; Jes 40-41,29). Die Initiative geht von Jahwe aus, der das Volk Israel souverän erwählt und mit ihm einen Bund schließt. Jahwes Gegenwart zeigt sich in kosmischen Ereignissen (Ps 18,15; Ri 5,4; Ex 19,16.18). Zugleich ist Jahwe der absolute Souverän, der alle seine kosmischen Manifestationen transzendiert. Elija gegenüber ist er nicht im Sturm, nicht im Erdbeben und auch nicht im Feuer, sondern in einem sanften, leisen Säuseln (1 Kön 19,11-13). Ein besonderer Ort der Gotteserfahrung ist für Israel die Wüste (Ex 3,14; Hos 2,16; Jer 2,2). Sie wird zum Symbol für intime Nähe und vertraute Zärtlichkeit. Der Gott der Wüste, der ein Gott von Nomaden ist, kann auf keinen Ort und auf kein Bild festgenagelt werden. Die Wüste wird so auch zum Ort der Scheidung und Unterscheidung zwischen Jahwe und Götzen (vgl. Ex 32). Das Verbot der heidnischen Götterbilder, das Verbot jeglicher Jahwe-Abbildung (Ex 20,4; Dtn 5,8) richtet sich gegen eine Verdinglichung Gottes und gegen Magie. Die absolute Freiheit und Transzendenz Jahwes gegenüber jeder Manifestation spitzt sich in der Alternative Jahwe oder Baal zu: Jahwe gibt als überzeitlicher Gott der Lebensfülle frei allen Lebewesen Speise und Nahrung (Ps 104), er schenkt Fruchtbarkeit, ist aber kein Vegetationsgott, der stirbt und wieder auflebt, und auch kein orgiastischer Geschlechtsgott, der heilige Hochzeiten eingeht. Wohl kann erotische Liebe zu einem Symbol für den Bund mit Israel werden (Gen 2,24; Hos 2,18-24; Hohes Lied; Spr 5,15-20). Schließlich ist Jahwe auch größer als das "religiös" ekstatische Erlebnis der Baalspriester. Im Unterschied zu vielen Göttern der Umwelt kann Jahwe nicht regional auf einen Stamm oder ein Volk eingeschränkt werden. Seine Beziehung zum Volk beruht auf Erwählung und freiem Bund.
„Ich schaute hin: Das Gartenland war Wüste, und all seine Städte waren zerstört, zerstört durch den Herrn, durch seinen glühenden Zorn ja, so spricht der Herr: Das ganze Land soll zu Öde werden“ (Jer 4,26f). So wird, wenn Gott infolge menschlichen Ungehorsams seine Lebenszuwendung entzieht, die Wüste erneut zum Raum des Todes, umgekehrt aber bezeugt sich der Segen Gottes gerade dadurch, dass er das Chaos der Wüste umformt und Israel wiederherstellt. Die zwei Gesichter der Wüste, das positive und das negative, beziehen sich also nicht einfach auf zwei historische Phasen, in denen Israel die Wüste erlebt hat. die erste kürzere Zeit, bis man zum Gottesberg gelangte, eine Zeit, die als "Brautzeit" und Zeit der "ersten Liebe" erfahren wurde, und dann die erheblich längere Zeit des Herumirrens in der Wüste, da man Tod und Unheil als den Fluch Gottes über Unglauben, Abtrünnigkeit und Zweifel an seiner Führung entgegennehmen musste (so: Talmon). Vielmehr entspricht das "Doppelgesicht" der Wüste einer sich immer wiederholenden Erfahrung. Das Todeschaos der Wüste wird nur ertragen, überwunden, ja ins Gegenteil: in Leben, Befreiung und Freiheit, verwandelt, wenn der Mensch sich der Führung Gottes, seinen Weisungen und Verheißungen, anvertraut und die Wüste als Land der Hoffnung durchwandert.
Die Oase En Gedi wird im Alten Testament als Zufluchtsort des David vor dem Verfolger Saul genannt (1 Sam 24,1-2), im Hohen Lied (1,14), in Jesus Sirach werden die Palmen von En Gedi gerühmt (24,14) und schließlich geht in Ezechiel 47 das heilende Wasser vom Tempel über En Gedi ins Salzmeer (Ez 47,19).
Die Verheißung des messianischen Heils: „Die Wüste und Einöde wird sich freuen, und die Steppe wird frohlocken und blühen wie ein Narzissenfeld. Sie wird lieblich blühen und frohlocken, ja, Frohlocken und Jubel wird sein; denn die Herrlichkeit Libanons wird ihr gegeben, die Pracht des Karmel und der Ebene Saron. Sie werden die Herrlichkeit des HERRN sehen, die Pracht unsres Gottes. Stärket die schlaffen Hände und festiget die strauchelnden Knie; saget den verzagten Herzen: Seid tapfer und fürchtet euch nicht! Sehet, da ist euer Gott! Die Rache kommt, die Vergeltung Gottes; Er selbst kommt und wird euch retten! Alsdann werden der Blinden Augen aufgetan und der Tauben Ohren geöffnet werden; alsdann wird der Lahme hüpfen wie ein Hirsch und der Stummen Zunge lobsingen; denn es werden Wasser in der Wüste entspringen und Ströme in der Einöde. Die trügerische Wasserspiegelung wird zum Teich und das dürre Land zu Wasserquellen.“ (Jesaja 35, 1-7)
Es blüht hinter ihm her. – So lautet ein Wort von Hilde Domin. Es blüht hinter ihm her, weil er einen Raum der Dankbarkeit hinterlässt, nicht des Neides, des Ressentiments, des Zu-kurz-gekommen-Seins. Undankbarkeit und Vergessen sind in der Hl. Schrift die große Sünde der „Heiden“. Sie verfinstern das Herz (Röm 1,21). Deswegen sagt der Psalmist: „Meine Seele, vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat!“ (Ps 103,2)
Jericho - Josua 2 und 6; Jesus und Bartimäus (Mk 19,46-52), Zachäus (Lk 19,1-10)
Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho (Lk 10,25-37)
„Die Religion des Gottes, der Mensch wurde, ist der Religion (denn sie ist es) des Menschen begegnet, der sich zum Gott macht. Was ist geschehen? Ein Zusammenstoß, ein Kampf, ein Anathem? Es hätte sein können, aber es ist nicht geschehen. Die alte Geschichte vom Samariter wurde zum Beispiel für die Geisteshaltung des Konzils. Eine ganz große Sympathie hat es ganz und gar durchdrungen.“ (Paul VI.) – Was geschieht, wenn alt und jung aufeinander treffen: ein Crash oder gar ein Krieg zwischen den Generationen? Was passiert, wenn arm und reich aufeinander prallen: die große Absicherung und Abschottung der Reichen, der Kampf aller gegen alle? Was ist das Ergebnis der einen Welt von Nord und Süd: die Ausbeutung und Unterdrückung, der große Hunger? Wie entwickelt sich das Verhältnis zwischen Männern und Frauen in der Kirche: als großer Krampf mit dem Exodus der Frauen? – Es gehört zur Spiritualität des Konzils, dass „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi sind. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände.“ (GS 1)
„Mir ist eine ‚verbeulte’ Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinaus gegangen ist, lieber als eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit, sich an die Sicherheiten zu klammern krank ist.“ (Papst Franziskus)
Der gute Hirt (Joh 10,10)
Geliebt zu werden, das lässt sich nicht durch die eigene Sehnsucht, nicht durch Machen, Leisten oder Denken erreichen. Wir finden als Menschen unsere Erfüllung nur dann, wenn wir nicht um den eigenen Bauchnabel kreisen, sondern aus uns heraustreten und lieben, wenn wir unser Dasein als Mitsein mit den anderen verstehen. „Der Himmel, das sind die anderen.“ (Gabriel Marcel) - Freilich gibt es auch die andere Erfahrung: die anderen sind nicht das Geschenk der Freiheit und der Liebe, sie grenzen ein, machen das Leben schwer und hart. Jean Paul Satre: „Die Hölle, das sind die anderen.“ Was sind wir füreinander: Himmel oder Hölle, Segen oder Fluch, Freunde oder Feinde, Hirten oder Wölfe, Brüder oder Gegner, Wohlwollende oder Neidhammel, Großzügige oder kalkulierende Geschäftsleute?
Da sprach der Herr zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Kain entgegnete: Ich weiß es nicht. Bin ich denn der Hüter meines Bruders? (Gen 4,9) – Die Botschaft der Heiligen Schrift mutet uns zu, dass wir einander aufgetragen sind, füreinander Verantwortung tragen, einander Hüter und Hirten, Bruder, Anwalt sind. Denn: „Einer trage des anderen Last.“ (Gal 6,2). Es ist im übertragenen Sinn so wie bei der Geschichte eines afrikanischen Mädchens, das seinen kleinen Bruder auf den Rücken trägt. „Da trägst du aber eine schwere Last!“ sagt ihr ein Vorbeikommender. „Das ist keine Last, das ist mein Bruder!“ erwidert das Mädchen.
Berg der Seligpreisungen
Das Gesicht verrät, wie lange oder wie kurz die vergangene Nacht war. In den Augen erkennt man die Müdigkeit, die Wachheit, Gesundheit und Krankheit oder auch den Alkoholkonsum. Im Antlitz verleiblicht sich Grundhaltungen und Grundeinstellungen zum Leben wie Traurigkeit, Bitterkeit, Verhärmtheit oder auch Zuversicht, Fröhlichkeit und Gelassenheit. Wenn der Blick ins Leere geht, wird das Leben als tiefes Loch erfahren; wenn die Augen ganz unruhig hin und her hüpfen, gibt es keine Bleibe, kein Verweilen. Im Gesicht drückt sich die unverwechselbare Identität, drückt sich die Innenseite der Seele aus. Im Antlitz sprechen sich auch Beziehungen aus. Wir spüren, wie wohltuend und heilend liebende Aufmerksamkeit ist, wie wichtig es ist, wahrgenommen zu werden, ein „Ansehen“ zu haben. Es kann aber auch verletzend sein, wenn jemand, der körperlich da, mit den Gedanken aber ganz wo anders ist. Blicke können flehentlich sagen: Ich brauche dich, bitte lass mich nicht im Stich, lass mich nicht allein. Ein Blick kann unbedingt in Anspruch nehmen: Du musst mir helfen! Oder: Du darfst mich nicht töten! Oder: Schau mir in die Augen, d.h. sag mir die Wahrheit! Mit Blicken und mit der Gestik des Gesichtes können auch Kälte, Gleichgültigkeit und Verachtung signalisiert werden. Ohne Worte sagt da einer: Du bist für mich überflüssig, reiner Abfall und Müll, den zu verwerten und dann zu entsorgen gilt, du bist eine Null, ein Kostenfaktor, den wir uns in Zukunft nicht mehr leisten wollen. Blicken können kontrollieren, überwachen, fixieren und lähmen. Wenn Blicke töten könnten, heißt es nicht umsonst in der Alltagssprache.
„Die Seligpreisungen spiegeln das Antlitz Jesu und seine Liebe.“ (Katechismus der katholischen Kirche Nr. 1717) Wir haben von Jesus kein authentisches Bild, kein Foto, keine Filmaufnahmen, keine handschriftlichen Dokumente, keine Unterschrift, keinen genetischen Code, aber: Die Seligpreisungen spiegeln das Antlitz, das Gesicht, die Identität Jesu, sie stehen im Herzen der Predigt Jesu. Dieses Antlitz Jesu vermittelt, wer Gott für uns Menschen ist. Jesu Blick auf die Menschen bleibt nicht an der geschminkten, geschönten, gestylten Oberfläche stehen. Jesu Blick geht in die Tiefe; er vermittelt Würde, Zuwendung, Leben und Hoffnung. In Jesus, in seinen Seligpreisungen schreibt Gott das Hoheitszeichen seiner Liebe und Würde auf die Stirn eines jeden Menschen, des Freundes und Feindes, des Armen und Geringen. Es ist und versagt, von uns selbst, von den anderen, von den Schwachen gering und verächtlich zu denken. Wir würden Gott selbst verachten und ihn gering schätzen.
In den Seligpreisungen spricht sich der Weitblick Gottes aus. „Der Engel der Geschichte muss so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen.“ In den Seligpreisungen fügt Jesus das Zerschlagene und die Zerschlagenen zusammen, holt er die Verlorenen heim, macht er die Kapputten lebendig, trocknet er die Tränen, gibt er den Toten Hoffnung. Insofern sind die Seligpreisungen eine „Magna charta“ gegen die Resignation und gegen die Hoffnungslosigkeit.
Weg vom Berg der Seligpreisungen zur Brotvermehrungskirche
„Sehr euch die Vögle des Himmels an!“ (Mt 6,24) „Lernt von den Lilien, die auf dem Feld wachsen.“ (Mt 6,28) - Wir haben das Sehen verlernt und können stattdessen - nach einem Wort von Bert Brecht - nur noch Glotzen. Oder das Verliebtsein in das eigene Spiegelbild lässt auf nichts anderes und niemanden anderen mehr achten wie bei Narziss. Am Beispiel Jesu geht eine andere Seh- und Hörweise auf. Er sah nicht nur in der Schönheit der Lilien auf dem Feld und in der Nahrung, welche die Vögel des Himmel finden, ein Zeichen für die Sorge und Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen (Mt 6,26f): auch die Begebenheit seiner Zeit, wie z.B. den Zusammenbruch eines Turmes (Lk 13), vernahm er als einen Anruf Gottes, der damit den Menschen zur Umkehr bewegen will. Nicht distanzierte Konsumhaltung charakterisierte Jesu Einstellung zur begegnenden Wirklichkeit, sondern Aufmerksamkeit und Durch-Blick auf das eigentlich Erscheinende. Ein solcher Umgang setzt auch Distanz und Schweigen, die Fähigkeit zum Verzicht und den Primat des Vernehmens und Empfangens voraus. Sonst werden wir durch eine unkritische Anhänglichkeit oder durch die totale Instrumentalisierung erdrückt.
Tabgha: Brotvermehrung (Mk 6, 30-44; 8,1-10; Mt 14, 13-21; Mt 15,32-39; Joh 6,1-13)
Wir können die Konstellationen zwischen Jesus, den Jüngern und den Leuten anschauen und auf uns anwenden, auf unseren Umgang mit Personal, mit Ressourcen, mit Finanzen, mit Begabungen, Charismen, Berufungen und mit anderen Mitteln. In mitteleuropäischen Breiten gibt es nicht selten die Versuchung zur Resignation, gibt es Ermüdungserscheinungen, das Gefühl überfordert zu sein. Da ist der Gedanke da, Einrichtungen und auch Pfarren aufzulösen und Leute weg zu schicken. Da ist die Kalkulation mit Zahlen: Was ist das für so viele? Und da ist die Versuchung zur Delegation: die Menschen sollen sich für die Religion etwas kaufen, sich in den Läden der Esoterik oder der Psychoszene bedienen.
Tabgha ist der Ort wider die pastorale Resignation. Die Brotvermehrung steht für die Kraft, konkret das zu tun und einzusetzen, was wir haben und können. Es wird hier wie in Nazaret das „universale concretum“ deutlich. Nazaret, das unscheinbare Dorf, das im Alten Testament nicht einmal erwähnt wird, hat durch die Menschwerdung weltgeschichtliche Bedeutung. Von Jesus her haben Brotbrechen und Teilen eine universale heilsgeschichtliche Bedeutung. An ihnen entscheidet sich Himmel und Hölle, Heil und Unheil (Mt 25.31-46). Jesu Tun ist Stellvertretung: er eröffnet dort, wo es für die hungrigen Leute keinen Platz mehr gibt, Räume des Mahles, des Miteinanders. Und Jesus erschließt eine neue Dimension der Zeit: Zeit ist nicht mehr kurze Frist, nicht beziehungsloser Ablauf von Zahlen der Bewegung. Zeit wird durch Jesus Zeit der Gemeinschaft und der Hoffnung. Brotvermehrung geschieht in die Resignation und in den Hunger hinein.
Auch wenn wir die qualitative Differenz zwischen den Mählern Jesu wie der Brotvermehrung und der Eucharistie nicht übersehen dürfen, so können wir doch auch nicht den grundlegenden Zusammenhang zwischen Eucharistie und Nächstenliebe einebnen. In seinem nachsynodalen Apostolischen Schreiben über die Eucharistie, Quelle und Höhepunkt von Leben und Sendung der Kirche (Rom 2007) erörtert Papst Benedikt XVI. den Zusammenhang von Eucharistie und christlichem Leben. Die Eucharistie als Quelle und Höhepunkt von Leben und Sendung der Kirche muss in Spiritualität und Leben „nach dem Geist” (Nr. 77) umgesetzt werden, damit sie sich immer tiefer dem Alltagsleben einprägt. Daraus erwächst das missionarische Zeugnis inmitten einer säkularisierten Welt. Wer den Leib des Herrn empfängt, wird selber zum „gebrochenen Brot” (Nr. 88) für andere und setzt sich für eine gerechtere und menschenwürdigere Welt ein (Hunger, Flüchtlinge). Wer die Erde als Schöpfung Gottes betrachtet, für den ist sie nicht „neutrale Wirklichkeit, bloße Materie zum wahllosen Gebrauch nach menschlichem Begehren” (Nr. 92). Damit wird der spirituelle, zeugnishafte Zusammenhang von Eucharistie, Alltag und sozialer Hilfe bis hin zu ökologischen Folgerungen in eindrucksvoller Weise hervorgehoben. Der Papst entfaltet und vertieft die Verbindung zwischen eucharistischem Geheimnis, liturgischer Handlung und dem aus der Eucharistie entspringenden neuen geistlichen Dienst als dem Sakrament der Nächstenliebe. Durchgängig ist der Konnex zwischen Eucharistie und kirchlicher Communio. „Die ,Mystik’ des Sakraments hat sozialen Charakter ... Die Vereinigung mit Christus ist zugleich eine Vereinigung mit allen anderen, denen er sich schenkt. Ich kann Christus nicht allein für mich haben, ich kann ihm zugehören nur in der Gemeinschaft mit allen, die die Seinigen geworden sind oder werden sollen.“ (Deus caritas est Nr. 14) So gehören auch Eucharistie und Versöhnung zusammen. Eucharistie drängt besonders jene, die miteinander im Konflikt sind, ihre Versöhnung zu beschleunigen. Eucharistie und Fußwaschung sind ein Aufruf, wirklich Friedensstifter und Urheber von Gerechtigkeit zu sein: „Wer nämlich an der Eucharistie teilnimmt, muss sich dafür einsetzen, den Frieden herzustellen in unserer Welt, die gezeichnet ist von so viel Gewalt, von Krieg und - besonders heute - von Terrorismus, Wirtschaftskorruption und sexueller Ausbeutung.“ (Nr. 89) Die Speise der Wahrheit, so der Papst, drängt uns, die menschenunwürdigen Situationen anzuprangern, in denen man wegen des von Ungerechtigkeit und Ausbeutung verursachten Nahrungsmangels stirbt, und gibt uns neue Kraft und neuen Mut, ohne Unterlass am Aufbau der Zivilisation der Liebe zu arbeiten.
Karfarnaum: Meister, wo wohnst Du?
Wohnungen sind ein Thema. Denn Wohnen in gesicherten Verhältnissen gehört zu den menschlichen Grundbedürfnissen und kann als eine elementare Voraussetzung gelingenden menschlichen Lebens angesehen werden. Erfolge und Defizite im Wohnungsbereich wirken sich unmittelbar auf die Lebensqualität in einem Gemeinwesen aus. „Meister, wo wohnst du?“ Jesus ist zwar kein Wohnungsmakler oder Wohnungsvermittler im heutigen Sinn, aber er eröffnet Räume, Stellen, Plätze. Raum wofür? Wohnung wozu? Platz wofür? Wer zu wenig Platz hat oder unter Raumnot leidet, der wird in die Enge getrieben, kann nicht mehr frei atmen und wird vielleicht auch von Angst besetzt. Entwurzelte Menschen, die keine Heimat und keinen rechten Ort haben, drängen danach, auch andere zu entwurzeln. - Die Nähe eines Menschen kann Raum geben und damit leben lassen, sie kann aber auch einengen und die Luft ausgehen lassen. Vermutlich haben die meisten schon einmal die Erfahrung gemacht, Da bin ich fehl am Platz, weil vermittelt wurde: du bist hier fremd; du verstehst nichts; du bist anders. Deine Kleidung, dein Stil, deine Kultur oder Subkultur, deine Sprache und dein Gehabe passen hier nicht. Oder: du bist eine Bedrohung, du störst die Kreise anderer, du bist eine unerwünschte Konkurrenz! Du wirst hier nicht mehr gebraucht, du bist überflüssig, du bist nichts mehr wert. Meister, wo wohnst du? Kommt und seht!
Räume sind Hoheitsgebiete, Raumfragen sind Machtfragen und Fragen der Selbstbestimmung und Freiheit. Wir spüren in Räumen, was in der Luft liegt, vielleicht auch, wie die Menschen, die in einem Raum wohnen oder arbeiten, gerade tun, wie sie miteinander umgehen, ob es der Wohlgeruch der liebenden Aufmerksamkeit oder der Bleigeruch von Spannung, Streit und Aggression ist, oder auch die Last eines niederdrückenden Schweigens, das Gewicht einer bedrückenden Einsamkeit oder gelöstes, beschwingtes Dasein. Vielleicht nehmen wir auch wahr, wie Freizeit gestaltet oder konsumiert wird. Räume verleiblichen die Seele. Räume nehmen Grundhaltungen dem Leben gegenüber auf und spiegeln sie wieder. Räume sind gefüllt oder auch geleert von unseren Beziehungen. Sie drücken die Kultur oder auch die Verwahrlosung unseres Miteinanders aus.
Meister, wo wohnst du? Das ist eine Frage: wie lebst du? Was sind deine Gewohnheiten? Wie gestaltest du den Alltag? Jesus war sicher einer, der die Lebenswelten seiner Zeitgenossen wahrgenommen hat. Er ist wesentlich ein Gesandter, der auf die Menschen zugeht und ihnen nachgeht. Bei diesem Apostolat ist aber zu beachten, dass es zur Beschäftigungstherapie wird wenn es keinen spirituellen Gegenpol in Form der „Prèsence", des einfachen Daseins und Wartens, gibt. Sein Hinausgehen steht in Spannung zur Gastfreundschaft in seiner Wohnung und in seinem Haus. Er ist nicht davon gelaufen vor sich selbst und vor den Leuten. Er hat kein Alibi gesucht um sich wirklicher Begegnung zu entziehen. Er gewährt Gastfreundschaft. Gerade dem Verweilen wohnt eine Kraft inne, die heilt und verändert. Das Verweilen schafft Orte der „Entschleunigung" und der Besinnung; auf diesem Boden kann Hoffnung wachsen. Ohne spirituelle Spannkraft wird die offene Tür zum Vogelhaus, ohne Präsenz löst sich die Gastfreundschaft auf, die Menschen kommen trotz verbaler Einladungen von selber nicht mehr.
See Gennesaret: Mk 4, 1-7; Mk 6,45-52; Lk 5,1-11
„Schweig, sei still, … es trat völlige Stille ein.“ (Mk 6,40) „In der Einsamkeit, in diesem Leben allein mit Gott, in dieser tiefen Sammlung der Seele schenkt Gott sich jenen ganz und gar, die sich ihm auf diese Weise auch ganz und gar schenken. Schweigen ist das Gegenteil von Vergessen und Kälte. Im Schweigen liebt man am Glühendsten. Lärm und Worte verlöschen oft das innere Feuer." (Charles de Foucauld)
Das Schweigen ist ein Weg, auf dem wir uns selbst begegnen können. Schweigen meint dabei nicht bloß, dass ich nichts rede, sondern dass ich die Fluchtmöglichkeiten aus der Hand gebe und mich aushalte, wie ich bin. Ich verzichte auch auf all die Beschäftigungen, die mich von mir ablenken. Wer das versucht, der entdeckt, dass es zunächst gar nicht angenehm ist. Es melden sich Gedanken, Gefühle, Emotionen, Stimmungen, Ängste und Unlustgefühle. Verdrängte Wünsche und Bedürfnisse kommen ans Licht, unterdrückter Ärger steigt hoch, ausgelassene Chancen, nicht gesagte oder ungeschickt gesagte Worte fallen einem ein. Das Schweigen kann Ordnung in das innere Chaos unserer Emotionen und Aggressionen bringen, es bringt Klarheit in unser Herz. Das Schweigen nimmt, was unser eigentliches Leben verstellt, was unsern Kern zu ersticken droht und uns von der Verwirklichung des Bildes abhält, das Gott in uns hineingelegt hat. Das Ziel des Schweigens ist es, uns für Gott offener zu machen, durchlässig zu machen für Gottes Geist. „Wenn es nur einmal so ganz stille wäre, wenn das Zufällige und Ungefähre einmal verstummte - und das nachbarliche Lachen, wenn das Geräusch, das meine Sinne machen, mich nicht so sehr verhinderte am Wachen, dann könnte ich mit einem tausendfachen Gedanken bis an Deinen Rand Dich denken, und Dich besitzen (ein Lächeln lang), um Dich an alles Leben zu verschenken wie ein Dank.“ (Rainer Maria Rilke, Stundenbuch)
Berg Tabor
Berge haben, ebenso wie die Quelle, die Wüste die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich gezogen, und verschiedene religiöse Vorstellungen geweckt: In der Antike als Sitz der Götter, als Ort kultischer Verehrung und Begehung. Auch in der Bibel spielen Berge als Orte der Präsenz und Offenbarung Gottes eine zentrale Rolle. Israel begegnet nach seiner Befreiung aus dem Sklavenhaus Ägypten und seiner Rettung am Schilfmeer seines Gottes JHWH am Sinai (Ex 19ff.; Dtn 5 nennt den Berg Horeb). Die Anwesenheit JHWHs beschreibt Israel mit den vulkanischen Phänomenen der Feuersäule in der Nacht, der Rauchsäule am Tag und des grollenden Donners einer Eruption von Lava wie aus einem Schmelzofen (Ex 19, 26-24). Einen so beschriebenen Berg zu betreten bedeutet den Tod. Nur ausgewählte Vermittlungsfiguren können dort Gott begegnen. Es ist kein Zufall, dass der Evangelist Matthäus die Lehre Jesu von einem Berg aus ergehen lässt (Mt 5,17). Wenn der Berg, auf dem Jesus seine Weisungen gibt, keinen Namen hat, so soll das auf ihm Gelehrte offensichtlich bewusst auf die Lehren bezogen werden, die auf den beiden Bergen der Tora-Offenbarung für Israel und für die Völker, am Sinai und am Zion, gegeben wurden. Erzählungen über Berge als Orte der Offenbarung durchziehen die Heilige Schrift wie ein roter Faden. Sie sind die bei der Welterschaffung (vgl. Ps 90,2) gesetzten Orte der Nähe zwischen Gott und Mensch. Offenbarung Gottes am Berg: Ex 19-20; 1 Kön 19,4-13; Mk 9,2-10; Mt 5-7)
Auf Ihn sollt ihr hören
Die Offenbarung des Vaters an Jesus auf dem Berg der Verklärung ist nicht zu lösen von Moses und Elija, nicht zu lösen von der Thora und von den Propheten. Damit steht der Tabor für die Einheit Gottes als Schöpfer, Erlöser und Vollender. Dem hingegen thematisiert Marcion (+165) den Gegensatz von Alten und Neuem Testament. Das Alte Testament wird verworfen, weil es einen zürnenden, gerechten, letztlich „bösen“ Gott (den Schöpfergott, Demiurgen) verkünde, der mit dem neutestamentlichen Gott der Liebe, mit dem Gott Jesu nichts gemein habe. Die Zurückweisung des Alten Testamentes war zwangsläufig Antrieb, auch die neutestamentliche Überlieferung von allen Judaismen zu reinigen.
Sternstunden: Einmal hast du eine Blume wahrgenommen und darüber gestaunt, dass es so etwas Schönes einfach gibt. Einmal hast du eine Berührung gespürt, eine Umarmung erfahren, und du hast gewusst: da ist einer, der mich mag. Einmal hast du dich gewundert als du bemerktest, dass du vor dich hin pfeifst. Einmal warst du so glücklich, dass es fast wehtat. Einmal hast du lange in die Flamme einer Kerze geschaut. Einmal hast du etwas vom Geheimnis Gottes geahnt. Es gibt Sternstunden des Lebens, die wir nie vergessen. Da sind Taborstunden, Erfahrungen des Glücks, der Lebensfreude, der intensiven Beziehung, die zu uns gehören. Solche Erinnerungen sind Anker der Hoffnung; sie geben Zuversicht auch in dunklen Stunden und lassen nicht verzweifeln. Bilder, Werte, Melodien, Eindrücke, Erfahrungen sind wichtig für die Seele, fürs Leben und fürs Überleben. - Kriterium für die Unterscheidung der Geister ist Jesus Christus („Auf Ihn sollt ihr hören“) und die Auferbauung der anderen. Die jeweilige eigene Lebenssituation in Bezug zu Jesus setzen.
Sepphoris (Zippori)
Man kann annehmen, dass Jesus hier als Bautischler gearbeitet hat. Jesus hat uns auch durch die 30 Jahre in Nazaret und Umgebung erlöst, er hat uns auch durch seine körperliche Arbeit geheiligt. Und er hat durch seine Arbeit der menschlichen Arbeit Würde gegeben. In Sepphoris war schon früh eine multikulturelle Situation. Als das Judentum sich von Jerusalem nach Galiläa verlagerte, haben sich die Juden hier mit Rom arrangiert und teilweise auch assimiliert (Architektur und Bilderwelt). In Sepphoris wird ein Synkretismus von Judentum und römischer Kultur sichtbar.
Nazareth (Lk 1,26-38)
„Und Maria nahm den Krug und ging hinaus, um Wasser zu schöpfen, und siehe, eine Stimme sprach zu ihr: „Sei gegrüßt, du Begnadigte, der Herr sei mit dir, du Gesegnete unter den Weibern.“ Und Maria schaute sich nach rechts und links um, woher diese Stimme komme. Und sie erbebte, ging in ihr Haus, stellte den Krug ab, nahm den Purpur, setzte sich (damit) auf ihren Stuhl und spann den Purpur. Und siehe, ein Engel des Herrn stand (plötzlich) vor ihr und sprach: „Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast Gnade gefunden vor dem Allmächtigen und wirst aus seinem Wort empfangen.“ Als sie das hörte, zweifelte sie bei sich selbst und sprach: „Ich sollte empfangen vom Herrn, dem lebendigen Gott, [und gebären,] wie jedes Weib gebiert?" Und der Engel des Herrn trat hinzu und sprach zu ihr: „Nicht so, Maria; denn Kraft des Herrn wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, was aus dir geboren wird, Sohn des Höchsten genannt werden. Und du sollst seinen Namen Jesus heißen; denn er wird sein Volk von seinen Sünden retten!“ Und Maria sprach: „Siehe, (ich bin) die Magd des Herrn vor ihm: mir geschehe nach deinem Wort!“ (Protoevangelium des Jakobus 11)
Wenn Maria Gott begegnet, findet sie letztlich Trost, Freude, Zuversicht und Hoffnung. Im letzten weiß dann der Mensch: so ist es gut, so ist es recht, so soll es sein. Das Evangelium ist eine Botschaft der Freude. Gott ist der „Gott allen Trostes“ (2 Kor). Gott führt im letzten zu Glück und Heil, zur Sinnerfüllung und Lebensganzheit. Gott ist kein Rivale und kein Konkurrent des Menschen. Wohl kann ein Anruf Gottes zunächst einmal beunruhigen und auch in Angst und Schrecken versetzen, wie es bei vielen Berufungserzählungen der Fall ist (Lk 1,29; 5,9). Es heißt dann aber immer: „Fürchte dich nicht!“ (Lk 1,30). Auf Dauer sind Angst, Sorgen und Schrecken nicht vom Geist Gottes. Friede, Hoffnung und Gelassenheit sind Grunderkennungszeichen für den Willen Gottes. „Und weil das Auge dort ist, wo die Liebe weilt, erfahre ich, dass Du mich liebst. … Dein Sehen, Herr, ist Lieben, und wie Dein Blick mich aufmerksam betrachtet, dass er sich nie abwendet, so auch Deine Liebe. … Soweit Du mit mir bist, soweit bin ich. Und da Dein Sehen Dein Sein ist, bin ich also, weil Du mich anblickst. … Indem Du mich ansiehst, lässt Du, der verborgene Gott, Dich von mir erblicken. … Und nichts anderes ist Dein Sehen als Lebendigmachen. … Dein Sehen bedeutet Wirken.“ (Nikolaus Cusanus)
Das verborgene Leben Jesu in Nazaret
Jesus lässt sich Gott auch im Verborgenen, im Geringsten, in der Enttäuschung und im Entzug von Erfahrung zumuten. So kann Gotteserfahrung in der Spur Jesu durchaus enttäuschend sein. Wer hat es denn noch nicht erlebt, dass er sich nach Menschen oder nach Gott gesehnt hat und angeklopft hat in der nächsten Minute ein Sandler? Nach Christus ist nichts mehr zu erwarten (Johannes vom Kreuz). Andere Menschen als die konkreten Menschen, die Arbeitskollegen, die Nachbarn sind nicht zu erwarten. Solche Begegnungen sind nicht gleich high lights oder Sternstunden, sondern alltäglich, gewöhnlich, durchschnittlich. Und doch will der Alltag gerade so ausgehalten und verwandelt werden. Es ist Nazaret, ohne ständige Sensationen, ohne das Gefühl, etwa Außergewöhnliches getan oder erlebt zu haben, ohne Applaus der Öffentlichkeit, ohne Anerkennung durch die Kirche, ohne dass es einer Laufbahn oder einer Karriere dienlich wäre. Manche dieser Begegnungen gehen auch ins Leere, sie scheinen umsonst, überflüssig. Diese Begegnungen leben von der „Presence“, von der Aufmerksamkeit. In Nazaret hat Jesus 30 Jahre gelebt. Von ihm her ist die Alltäglichkeit der Ort der Weisheit und der Liebe, der Ort der Herrlichkeit.
Nazaret: Gott in allen Dingen finden
Ps 139; Ps 32,3; 35,28; 71,8.15.24; 88,2.3; Lk 18,1; Eph 5,20; Eph 6,18; 1 Thess 5,17. Gott ist ein Freund und Liebhaber des Lebens und der Wirklichkeit (Weish 11, 23-26). Ignatius von Loyola geht von der Welt zu Gott und mit Gott zur Welt (Gott in allen Dingen finden). Am Fluß Cardoner schaut er alle Dinge in Gott und Gott in allen Dingen. Hier wird das „Gott in allen Dingen finden“ grundgelegt. In den Ordenssatzungen heißt es: „Und man ermahne sie häufig, in allen Dingen Gott unseren Herrn zu suchen, indem sie, soweit, es möglich ist, die Liebe zu allen Geschöpfen von sich entfernen, um sie auf deren Schöpfer zu richten und ihn in allen Dingen zu lieben und alle in ihm“ (III 1,26). Und in einem Brief an die portugiesischen Scholastiker: Mit Rücksicht auf den Zweck der Studien, dessentwegen die Scholastiker keine langen Gebetszeiten haben sollen, können sie außer den Übungen ihres geistlichen Lebens ... sich noch darin üben, die Gegenwart Gottes unseres Herrn in allen Dingen zu suchen, z.B. im Sprechen, im Gehen, Sehen, Schmecken, Hören, Denken, überhaupt in allem, was sie tun; ist ja auch Gottes Majestät in allen Dingen, durch seine Gegenwart, durch sein Wirken und sein Wesen" (MI I 3, 5O6-513, Geistliche Briefe 204-208).
Eines der köstlichsten Worte der großen Teresa ist: „Also meine Töchter, es gibt keinen Grund zum Traurigsein …, denn wisst, dass, falls es sich um die Küche handelt, der Herr auch zwischen den Kochtöpfen zugegen ist und uns bei unseren inneren und äußeren Fähigkeiten hilft.“ (Teresa von Avila, Innere Burg, 6. Wohnung)
Cäsarea Maritim: Das Tor zur Welt
In Joppe ist die Grundentscheidung der Kirche gefallen, eine Kirche der Völker, eine Weltkirche zu werden. Apg 10 Petrus und Cornelius, Universalität des Christentums. Wie wird eine Kultur evangelisiert? Sicher nicht durch Eroberung und Gewalt, schon gar nicht durch Zerstörung. Sehnen sich alle Völker nach der Erlösung in Christus? Benedikt XVI. hat am 13.05. 2007 vor den im brasilianischen Aparecida versammelten Bischöfen Lateinamerikas davon gesprochen, dass die Verkündigung Jesu und seines Evangeliums zu keiner Zeit eine Entfremdung der Kulturen mit sich gebracht habe. Die Annahme des Glaubens bedeute für die Länder des Kontinents, so Benedikt, Christus kennen zu lernen und anzunehmen, „Christus, den unbekannten Gott, den ihre Vorfahren, ohne es zu wissen, in ihren reichen religiösen Traditionen suchten. Christus war der Erlöser, nach dem sie sich im Stillen sehnten.“ „Denn er, der Sohn Gottes, hat sich in seiner Menschwerdung gewissermaßen mit jedem Menschen vereinigt. …Durch Christus und in Christus also wird das Rätsel von Schmerz und Tod hell, das außerhalb seines Evangeliums uns überwältigt.“ (GS 22) Menschwerdung erwächst in einem Resonanzraum für die Zeitgenossen, aus einer großen Sympathie, aus dem Erlösungs- und Heilswillen Gottes.
Weltkirche ist Kirche noch nicht unbedingt durch eine universale Verbreitung des Christentums. Das ist ja in einem gewissen Sinn am Beginn der Neuzeit durch die Kolonisierung geschehen. Eine „Metaphysik des Transports“ (Peter Sloterdijk), die Transzendenz in der Überquerung des Atlantiks sieht und die neuen Paradiese in Amerika oder Afrika und Asien sucht, ist noch geprägt von Strategie, Beherrschung, Unterwerfung und Macht. Reale Weltkirche ist das noch nicht. Weltkirche entsteht auch nicht einfach durch Globalisierung, sofern diese mit einem Verrat aller konkreten Kulturen verbunden ist. Durch das Ökonomieprinzip ist Kommunikation immer schneller, aber auch abstrakter und allgemeiner geworden. Das Internet kann das konkrete Anschauen, den Kuss, den Händedruck, das gemeinsame Gehen, die Sprache und Kultur, die leiblichen Werke der Barmherzigkeit und auch die Feier der Sakramente nicht wegrationalisieren. - Johann Baptist Metz fordert von einer Kirche, die reale Weltkirche werden will, die Verwirklichung von zwei Grundzügen des biblischen Erbes: Dass sie im Namen ihrer Sendung Freiheit und Gerechtigkeit für alle sucht, d.h. dass sie eine Option für die Armen trifft, und dass sie sich als Kultur der Anerkennung der Anderen in ihrem Anderssein entfaltet. In dieser Hinsicht ist Weltkirche ein Lernraum, Katholizität ein Lernprinzip. Solche Lernschritte hatte die Kirche als ganze immer wieder zu setzen: das begann mit dem so genannten Apostelkonzil, bei der Frage, ob man beschnitten werde müsse, um das Heil zu erlangen. Auch die altkirchlichen Konzilien waren Lernschritte der Katholizität im Einlassen auf die Philosophie als Mittel zur Auseinandersetzung in der Gottesfrage und als Hilfe für die Antworten des Glaubens auf an ihn gestellte Fragen. Schmerzliche Lernschritte für die Kirche waren die Frage der Menschenwürde, der Menschenrechte zu Beginn der Neuzeit und das damit verbundene Verbot der Sklaverei. Lernprozesse im 20. Jh. waren und sind etwa die ökumenische Bewegung, der interreligiöse Dialog, die Neubestimmung der Beziehung bzw. des Verhältnisses der Kirche zu Israel oder die Frage der Inkulturation, der Kampf um Gerechtigkeit, die Option für die Armen, der Friedensauftrag der Kirche.
Es wäre für Jesus eine Versuchung gewesen, sich herauszuhalten, sich nicht hineinzubegeben in die Sehnsüchte und Ängste, in die Konflikte und Nöte der konkreten Menschen. „Sich der Zeit entziehen“ würde „Sünde bedeuten“ (Simone Weil). Das Dasein Jesu ist geprägt von leiblicher Präsenz und Solidarität. Jesus führt die Ordenschristen hinein in die Lebenswelt. Christus rettet uns nicht aus der Welt und nicht von der Zeit, sondern in der Zeit. Wir sind herausgefordert, die „Zeichen der Zeit“ zu erkennen, hellhörig zu sein für Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen (GS 1) und Kraft und Lebensmut, Freude und Hoffnung zu vermitteln. Sich inkarnieren, sich einlassen heißt aber nicht, sich anzupassen, sich anzugleichen und schon gar nicht, sich besetzen oder kolonisieren zu lassen. Wir haben die Kolonisierung unserer Lebenswelten, des Glaubens, der Kirche und der Religion wahrzunehmen.
Abendessen mit dem früheren israelischen Botschafter in Österreich Aviv Shir-On
Oberste Priorität für Israel ist es, das Existenzrecht Israels als jüdischer und demokratischer Staat zu sichern und Sicherheit zu gewährleisten. Wenn Israel die Waffen niederlegt, hört es auf zu existieren. Wenn die Palästinenser die Waffen nieder legen und den Krieg beenden, ist Frieden. Die Palästinenser fordern von Israel die Anerkennung und Respektierung einer Grenze (d. i. der Grünen Linie), die sie selbst ignorieren. Die Palästinenser wollen z.B. in Hebron oder Bethlehem keine Juden haben, umgekehrt leben in Israel 20% Araber. Israel ist der einzige demokratische Staat im Nahen Osten. Die Mauer hat für Israel Sicherheit geschaffen, auch wenn die Auswirkungen für das Alltagsleben der Palästinenser bedauerlich sind. Israel hat in den vergangenen Jahrzehnten im Bereich Landwirtschaft, Bewässerung, Technik und Wissenschaft Herausragendes geleistet. So wurde das Wasserproblem gelöst.
Die Zukunft wird in einer Zweistaatenlösung gesehen. Stichwort: Land für Frieden. Innerhalb der israelischen Gesellschaft gibt es eine starke Säkularisierung und auch Spannungen zwischen den Säkularen und den Orthodoxen. In Israel ist man entweder orthodox oder säkular. Für das Reformjudentum scheint wenig Platz zu sein. Vom orthodoxen Judentum und auch vom Staat Israel wird das Reformjudentum nicht anerkannt. In den USA hingegen hat es die Mehrheit. Die Reformjuden sind auch in die Jahre gekommen. - Bei den säkularen Juden gibt eine gewisse Wehmut, dass immer weniger Juden den Glauben praktizieren.
Klagemauer
„Schechina“ (hebr.: שְׁכיִנָה šəxīnāh) bezeichnet in der jüdischen Religion die ‚Einwohnung‘ oder ‚Wohnstatt‘ JHWHs in Israel, die als Inbegriff der Gegenwart Gottes bei seinem Volk verstanden werden kann. Von seinem Ursprung und seiner Grundbedeutung her weist der Begriff auf die Begegnung des Volkes Israel mit seinem Gott in der Wüste zurück. Gottes Gegenwart manifestiert sich in seinem „Zelten“ mitten unter dem Volk (vgl. Ex 25,8-9). Dementsprechend bestand das erste israelitische Heiligtum aus einem beweglichen Zelt und der darin aufgestellten Bundeslade. Die Schechina als Inbegriff der Nähe und Präsenz Gottes ging später auf den Jerusalemer Tempel und den heiligen Bezirk der Stadt über.
Das „Schma Jisrael“ (hebr.שְׁמַע יִשְׂרָאֵל Sch'ma Jisrael, Sch’ma Jisrael oder kurz Sch'ma ‚Höre Israel!‘) und die folgenden Toraverse sind zentrale Bestandteile des täglichen Gebets: Schacharit (hebr. שחרית), das ist das jüdische Morgengebet, sowie Maariw (hebr. מעריב), das ist das jüdische Abendgebet: „Höre Israel! Jahwe, unser Gott, Jahwe ist einzig: Darum sollst du den Herrn, deinen Gott lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft.“ (Dtn 6,4-5)
Die orthodoxen Juden sind frei für Gott, frei das Gebet und für das Thorastudium. Braucht es in einem Volk, in einer Gesellschaft solche Menschen, die im Angesichte Gottes leben (coram Deo) und sich deswegen jeder Arbeit enthalten? „Ein so fragwürdiges, intellektuell so unerleuchtetes, durch und durch ambivalentes Gebilde wie die menschliche Gesellschaft der Hochkulturen bis auf den heutigen Tag kann nur dann das Abgleiten in die Selbstzerstörung abhalten, wenn immer einige in ihr leben, die um der Wahrheit willen die Teilnahme an ihren Tätigkeiten radikal verweigern.“ (Carl Friedrich von Weizsäcker)
Begegnung im Lateinischen Patriarchat
Der Weihbischof sind eine demographische Herausforderung für die Christen: die anderen werden mehr; eine ökumenische Herausforderung: die Bischöfe der 13 Kirchen treffen sich regelmäßig, gemeinsamer Ostertermin; das Klima in den Heiligtümern ist viel besser geworden; eine interreligiöse Herausforderung: es gibt Gespräche mit Muslimen und Juden, allerdings nicht mit den Orthodoxen; die Herausforderung des Friedens im Heiligen Land: erbittet für Jerusalem Frieden, bei Gott ist nichts unmöglich; schließlich stellt der politische Islam im Nahen Osten und die Islamisierung mit starken Auswirkungen auf Israel und Palästina eine starke Herausforderung für die Christen dar.
Begegnung im Club der Österreichischen Juden in Israel
Auch nach 75 Jahren empfinden wir Scham und Trauer über eines der dunkelsten Kapitel der österreichischen Geschichte. Die Vertreibung der Juden aus Österreich war eine große menschliche, kulturelle und auch wirtschaftliche Verarmung. Dankbar sind wir für Zeichen des Aufbruchs, der Verständigung und der Freundschaft, die von jüdischer Seite gekommen sind. Österreichische Jugendliche sollen das Heilige Land kennen und lieben lernen und auch die österreichischen Juden in Israel.
Gideon Eckhaus, Vorsitzender der österreichen Juden in Israel, leidenschaftlicher Gewerkschafter und Zionist, unterstreicht die Bedeutung einer Erinnerungs- und Erzähltradition: „Erzählt Euren Kinder davon!“ (Joel 1,3) „Inhuman aber ist das Vergessen, weil das akkumulierte Leiden vergessen wird; denn die geschichtliche Spur an den Dingen, Worten, Farben und Tönen ist immer die vergangenen Leidens. Darum stellt Tradition heute vor einen unauflöslichen Widerspruch. Keine ist gegenwärtig und zu beschwören; ist aber eine jegliche ausgelöscht, so beginnt der Einmarsch in die Unmenschlichkeit.“ (Theodor W. Adorno) Bei den Begegnungen sollte an all die Leiderfahrungen, an den Verlust von Familie und Heimat, an die Entwurzelung und an die Überlebenskraft erinnert werden, wovon die Zeitzeugen in einigen Jahren in Jerusalem nicht mehr erzählen können.
Nomi Meron musste in ihrem Leben sieben Mal ganz bei Null wieder beginnen. Sie empfindet keinen Hass und hat mit der Musik und Kunst viele Brücken nach Österreich gebaut. Ilse Maas, gebürtig aus Linz, 90-jährige Shoah-Überlebende singt für uns Wiener Heurigenlieder und auch Lieder von Frank Sinatra. Eine ältere Frau wollte mir beim Abschied noch sagen: Ich glaube an gar nichts, das ist meine Religion. Und ein alter Mann wollte von den Jugendlichen wissen, wie viele Juden gegenwärtig in Österreich leben und wie viele es 1938 waren. Ich war einer von den 180 000!
Yad Vashem – Andenken und Name
„Denen will ich in meinem Hause und in meinen Mauern ein Denkmal und einen Namen (Yad Vashem) geben.“ (Jes 56,5) Yad Vashem - Andenken und Name - ist eine nationale jüdische Gedenkstätte in Jerusalem für jene Juden, die im Holocaust während des NS Terrors auf grausame Weise ermordet wurden. Ein Denkmal zeigt sechs längliche Granitblöcke - sie stehen für die sechs Millionen Juden. Diese Blöcke sind in zwei Gruppen auf solche Weise geordnet, dass ihre inneren Ränder die Form eines Davidssterns ergeben. Ein riesiges Schwert aus Stahl durchschneidet den Davidstern.
Dokumente, Bilder, Fotografien und Gegenstände aus Ghettos, Konzentrationslagern, Todeslagern, Gaskammern und Krematorien sind erschütternde Zeugnisse der nationalsozialistischen Verbrechen. Das Auschwitz-Denkmal in Yad Vashem ist eine Säule, die an einen Schornstein erinnert. In der Gedenkhalle sind die Namen der 22 größten Konzentrations- und Vernichtungslager in den Boden geschrieben. Die Kinder-Gedenkstätte gilt dem Andenken von 1,5 Millionen Kindern, die dem Holocaust zum Opfer gefallen sind. Gesichter verstorbener Kinder blicken auf Fotos entgegen. Der Blick in diese Gesichter kann nicht neutral oder distanziert bleiben. Das unmittelbare „Aug in Auge“, „von Angesicht zu Angesicht“ beinhaltet eine Dringlichkeit, eine ethische Verpflichtung und Forderung, die im „Mich-Angehen des anderen Menschen“ wurzelt. Diese Forderung geht aus vom anderen Menschen, genauer: von der Tatsache, dass der Andere verwundbar und sterblich ist. Das Antlitz ist nicht die sichtbare Oberfläche des Gesichts des Anderen, sondern die Bitte, die aus der Existenz des Anderen spricht: du wirst mich nicht töten. Die Ohnmacht dieser Bitte hat jedoch den Rang eines Befehls: du darfst mich nicht töten (Emmanuel Levinas).
Flammen von fünf Kerzen - Symbole der Seelen der Kinder - werden ungezählte Male reflektiert. Im Hintergrund erklingen die Namen der Kinder, ihr Alter und ihr Geburtsort. „Ein Geschrei ist in Rama zu hören, bitteres Klagen und Weinen. Rahel weint um ihre Kinder und will sich nicht trösten lassen, um ihre Kinder, denn sie sind dahin.“ (Jer 31,15)
Yad Vashem will ein Ort der Versöhnung und nicht des Aufrechnens sein. Versöhnung verlangt aber, dass die Mörder nicht in alle Ewigkeit über ihre Opfer triumphieren und sie für immer vergessen machen können. Versöhnung verlangt auch Sühne, die tätige Bitte um Vergebung. Die Vergebung selbst kann aber nicht aufgearbeitet und eingefordert werden.
Yad Vashem will den Toten eine Stimme in der Gegenwart geben. Gesichter, Stimmen, Hände der Opfer klagen Apathie und stumpfe Gleichgültigkeit an. Die Autorität der Leidenden will den Menschen in die Füße zwingen, der nur auf seinen Willen zur Macht versessen ist. Wider einen kollektiven Narzissmus ruft dieses Gedächtnis des Leidens in die Verantwortung vor dem Anderen, der so gewaltlos in das eigene Leben eintritt. Yad Vashem ist letztlich auch eine Mahnung wider die Verrohung, wider den Kult der Gewalt, wider den Rückfall in die Barbarei.
In Yad-Vashem gibt es auch eine Gedenk-Abteilung für die „Gerechten unter den Völkern“. Das ist der Titel für Nichtjuden, die während des Nationalsozialismus ihr Leben für die Rettung von Juden riskierten. Der Name stammt aus einem hebräischen Satz des Talmud – Chasidai Umot Haolom – der besagt: „Die Gerechten unter den Völkern haben einen Platz in der kommenden Welt.“ Jeder als „Gerechter unter den Völkern“ Anerkannte hat das Recht, unter seinem Namen in der Allee der Gerechten“ auf dem Hazikaron (dem „Berg des Gedächtnisses“) einen Baum zu pflanzen. „Wer ein Leben gerettet hat, wird so betrachtet, als habe er das ganze Universum gerettet.“ – Dieser Wahlspruch des Talmud ist auf dem Orden der „Gerechten unter den Völkern“ eingraviert.
“Where books are burned, human beings are also destined to be burned” (Heinrich Heine)
“A country is not just what it does – it is also what it tolerates” (Kurt Tucholsky)
“All of us, dying here amidst the icy artic indifference of the nations, are forgotten by the world and by life” (Avraham Levite, Auschwitz, 1945)
"I know that when I stand before God on Judgment day, I shall not be asked the question posed to Cain -where were you when your brother's blood was crying out to God?" (Imre Bathory, Hungary)
“And praised. Auschwitz. Be. Majdanek. The Lord. Treblinka. And praised. Buchenwald. Be. Mauthausen. The Lord. Belzec. And praised. Sobibor. Be. Chelmno. The Lord. Ponary. And praised. Theresienstadt. Be. Warsaw. The Lord. Vilna. And praised. Skarzysko. Be. Bergen-Belsen. The Lord. Janow. And praised. Dora. Be. Neuengamme. The Lord. Pustkow. And praised… Amen.” (an excerpt from the book The Last of the Just, by Andre Schwarz-Bart)
„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“ (Martin Niemöller)
Zionsberg
Abendmahlssaal – Pfingsten
Abendmahl: In der Eucharistie realisiert sich die kommemorative Aktualpräsenz des durch Jesus Christus in seinem Sterben („für euch“) vollzogenen Erlösungsgeschehens realisiert. Es ist die Liebe, die über den rechten Gebrauch des Wortes „Gegenwart“ befindet. Gegenwart, welche die Liebe präsentiert, ist notwendig auch zeitliche Gegenwart. Neutestamentlich bedeutet „Lieben“ nicht zuletzt „Zeit haben“. Nur wer sich für den anderen Zeit nimmt, kann sich auf den anderen einlassen, ihn lieben (vgl. Lk 10, 25-37). In Jesus als dem Sohn des Vaters hat Gott Zeit für die Welt. Jesus Christus ist leiblich und personal in der Zuordnung auf Personen in der Gabe der Zeit gegenwärtig. Christus ist gegenwärtig seiner Proexistenz, seinem Selbstsein nach: „Anwesend ist seine durch das Kreuz hindurchgegangene Liebe: Sein von Tod und Auferstehung geprägtes Du als heilschaffende Wirklichkeit uns gewährt.“ (Joseph Ratzunger)
Pfingsten: „Jeder hörte sie in seiner Sprache reden.“ (Apg 2,6) Das ist die Wirkung des Heiligen Geistes bei der Pfingstpredigt der Apostel. Hier ist die Völkervielfalt fähig, sich zu verstehen. Sie ist fähig, sich mitzuteilen. Es entstehen Beziehungen, welche die jeweilige Originalität und Verschiedenartigkeit erhalten. Der Heilige Geist ist Kommunikation (2 Kor 13,13), die Beziehung zwischen Vater und Sohn, das „Zwischen“, die Atmosphäre. Geist ist das, was verbindet, was zusammenfügt, was Gemeinschaft stiftet. „Menschliche Kommunikation ist eine lange Reise, die von Babel, Schauplatz und Sinnbild des Zusammenbruchs der Kommunikation bis Pfingsten, also der Wiederherstellung der Kommunikation durch die Kraft des vom Sohn gesandten Geistes, führt“, so der Päpstliche Rat für die sozialen Kommunikationsmittel in einer Botschaft (2000).
Die Suche nach Kommunikation, Gespräch, Zuwendung, Anerkennung und Bestätigung ist nach wie vor stark. Gemeinschaft ist aber vermutlich anstrengender geworden, vor allem mit Leuten, die schwierig und nicht von vorneherein sympathisch sind. Vielleicht sind Solidarität und Gemeinschaft weniger belastbar geworden. Und dann gibt es gar nicht so wenig Neid, Rivalität und Konkurrenz. - Die weiße Taube symbolisiert Pfingsten und ist auch das wichtigste Friedenssymbol. Der Friede ist eng mit der Gerechtigkeit und mit der Bewahrung der Schöpfung verbunden. Zur Kommunikation im Sinne des Friedens gehören der Abbau von Vorurteilen und Feindbildern, die Abrüstung der Sprache, die Bereitschaft, den ersten Schritt nach einem Streit tun, das Wort des Verzeihens, der Mut, statt des Wortes Ich das Wort Wir an die erste Stelle zu setzen, zu teilen, füreinander und miteinander die Güter dieser Welt zu haben und zu nutzen.
Sabbat in Kehilat har-el mit der Reform-Rabbinerin Maya Leibowitz
"Man kann das jüdische Ritual als die Kunst charakterisieren, der Zeit gültige Formen zu geben, als Architektur der Zeit. So bringt z.B. der Abend, der Morgen oder der Nachmittag die Aufforderung zum Gebet mit sich. Die Grundtatsachen des Glaubens liegen im Bereich der Zeit. Wir gedenken an den Tag des Auszugs aus Ägypten, an den Tag als Israel am Sinai stand und unsere messianische Hoffnung ist die Erwartung eines Tages, des Endes der Tage.
Sechs Tage der Woche kämpfen wir mit der Welt, ringen wir dem Boden seinen Ertrag ab; am Sabbat gilt unsere Sorge vor allem der Saat der Ewigkeit, die in unsere Seele gesenkt ist. Unsere Hände gehören der Welt, aber unsere Seele gehört einem anderen. Sechs Wochentage lang suchen wir die Welt zu beherrschen, am siebten Tag versuchen wir, das Selbst zu beherrschen.
Drei Taten Gottes kennzeichnen den siebten Tag: Er ruhte, er segnete und er heiligte den siebten Tag (1 Mose 2,2). Arbeit ist eine Fertigkeit, vollkommene Ruhe aber ist eine Kunst. Sie ist das Ergebnis eines Einklangs von Körper, Geist und Phantasie. Um einen Grad an Vollkommenheit in der Kunst zu erreichen, muß man sich ihrer Ordnung unterwerfen, muss man der Trägheit abschwören. Der siebte Tag ist ein Palast in der Zeit, den wir bauen. Er besteht aus Einfühlsamkeit, Ausdruck der Freude und Suchen nach Ruhe. In seinem Bereich erinnert eine feste Ordnung an die Nähe zur Ewigkeit... Was ist so kostbar, daß es das Herz ergreift? Der Grund ist, daß der siebte Tag eine Goldgrube ist, wo man das kostbare Metall des Geistes finden kann, mit dem man den Palast in der Zeit baut, ein Bereich, in dem der Mensch bei Gott zu Hause ist, ein Bereich, in dem der Mensch bestrebt ist, der Gottesebenbildlichkeit nahe zu kommen ... Die Liebe zum Sabbat ist die Liebe des Menschen für das, was er mit Gott gemeinsam hat. Daß wir den Sabbattag haben, ist ein Hinweis darauf, daß Gott den siebten Tag heiligte.
Der Sabbat ist eine Erinnerung an die beiden Welten - diese Welt und die zukünftige, er ist ein Beispiel für beide Welten. Denn der Schabbat ist Freude, Heiligkeit und Ruhe; Freude ist ein Teil dieser Welt, Heiligkeit und Ruhe gehören zur kommenden.
Menucha, was wir gewöhnlich mit "Ruhe" wiedergeben, heißt hier mehr als Abstand nehmen von Arbeit und Anstrengung, heißt mehr als frei sein von harter Arbeit, Mühe oder Tätigkeit irgendwelcher Art. Menucha ist kein negativer Begriff, sondern etwas Reales und durch und durch Positives. Das muß die Meinung der alten Rabbinen gewesen sein, wenn sie glaubten, daß ein besonderer Schöpfungsakt nötig war, um sie zu schaffen, daß das Universum ohne sie nicht vollkommen sein würde. "Was wurde am siebten Tag geschaffen? Gelassenheit, Heiterkeit, Frieden und Ruhe" (Gen.rabba 10,9)
Der Sabbat ist der Tag, an dem wir die Kunst lernen, über die Zivilisation hinauszuwachsen...Die Lösung des schwierigsten Problems der Menschheit liegt nicht im Verzicht auf technische Zivilisation, sondern im Erreichen einer gewissen Unabhängigkeit von ihr... Am Sabbat leben wir sozusagen unabhängig von der technischen Zivilisation. Wir enthalten uns vor allem jeglicher Aktivität, die darauf abzielt, die Dinge des Raumes zu erneuern und zu ordnen.
Der Sabbat hat wie die Welt zwei Aspekte. Der Sabbat ist von Bedeutung für den Menschen und von Bedeutung für Gott. Er steht zu beiden in Beziehung und ist ein Zeichen des Bundes, den beide geschlossen haben. Was ist das Zeichen? Gott hat den Tag geheiligt, und der Mensch muß den Tag immer wieder heiligen, muß ihn erleuchten mit dem Licht seiner Seele. Der Sabbat ist durch Gottes Gnade heilig und bedarf dennoch aller Heiligkeit, die der Mensch ihm verleihen kann.“
Jesus in jüdischer Sicht
In der Reformsynagoge Kehilat har-el gibt es seit Jahren Ökumene mit christlichen Gruppen. Wir begegnen der Witwe von Schalom Ben-Chorin, Avital Ben-Chorin. Jesus wird in der Gegenwart von jüdischen Denkern - z.B. von Schalom Ben-Chorin (* 20. Juli 1913 in München; + 7. Mai 1999 in Jerusalem; gebürtig Fritz Rosenthal, jüdischer Schriftsteller und Religionsphilosoph) - als Jude, als jüdischer Lehrer bzw. in seinem Leidensgeschick als „Gleichnis für sein ganzes Volk“ verstanden: „Jesus ist für mich der ewige Bruder, nicht nur der Menschenbruder, sondern mein jüdischer Bruder. Ich spüre seine brüderliche Hand, die mich fasst, damit ich ihm nachfolge. Es ist nicht die Hand des Messias, diese mit den Wundmalen gezeichnete Hand. Es ist bestimmt keine göttliche, sondern eine menschliche Hand, in deren Linien das tiefste Leid eingegraben ist.
Das unterscheidet mich, den Juden, vom Christen, und doch ist es dieselbe Hand, von der wir uns angerührt wissen. Es ist die Hand eines großen Glaubenszeugen in Israel. Sein Glaube, sein bedingungsloser Glaube, das schlechthinnige Vertrauen auf Gott, den Vater, die Bereitschaft, sich ganz unter den Willen Gottes zu demütigen, das ist die Haltung, die uns in Jesus vorgelebt wird und die uns - Juden und Christen - verbinden kann: Der Glaube Jesu einigt uns, habe ich andernorts gesagt, aber der Glaube an Jesus trennt uns. ...
Das Verhältnis des jüdischen Menschen zu Jesus muss wesensmäßig ein anderes sein als das des Christen aus den Völkern. Jesus tritt uns in einer unmittelbaren Nähe gegenüber, die freilich erst erkannt werden kann, wenn wir die Züge des jüdischen Mannes aus Nazareth von der Übermalung der christlichen Ikonologie gereinigt haben. Schicht um Schicht, die die Kirchengeschichte hier hinterlassen hat, muss abgehoben werden, damit man zum ursprünglichen Antlitz Jesu vordringt. Dieses Antlitz und diese Gestalt stehen aber dann nicht in einem leeren Raume, sondern müssen eingefügt erkannt werden in das ihnen zeitgenössische palästinensische Judentum. Jede andere Schicht muss dem Wesen Jesu fremd bleiben. ...
Im Leben Jesu ist so vieles vorgezeichnet, was sich im Leben seiner Nachfolger wiederholt hat. Phantasie und Glaube haben vieles aus diesem Leben erhöht, es aus der Sphäre der Geschichte in die höhere der Heilsgeschichte transportiert, aber "der Sitz im Leben" dieser Episoden aus der Geschichte Jesu ist gerade aus der jüdischen Perspektive unverkennbar.
Jesus von Nazareth hat gelebt - er lebt fort, nicht nur in seiner Kirche, die sich auf ihn bezieht (realistischer gesagt: in den vielen Kirchen und Sekten, die ihn in Anspruch nehmen), sondern auch in seinem Volke, dessen Martyrium er verkörpert. Ist der leidende und am Kreuz verhöhnt sterbende Jesus nicht ein Gleichnis für sein ganzes Volk geworden, das, blutiggegeißelt, immer wieder am Kreuze des Judenhasses hing? Und ist die Osterbotschaft seiner Auferstehung nicht wiederum ein Gleichnis für das heute wieder auferstandene Israel geworden, das sich aus der tiefsten Erniedrigung und Schändung der dunkelsten zwölf Jahre seiner Geschichte zu neuer Gestalt erhebt?“
Es ist für beide Seiten leichter geworden, Jesus als Juden zu erkennen und anzunehmen. Was wir jetzt genauer und endgültig wissen, was aber noch erst tiefer ins christliche Bewusstsein vordringen muss, ist die Tatsache, dass Jesus von Nazareth nicht nur seiner biologischen Herkunft nach ins jüdische Volk gehört, sondern auch seiner geistigen und religiösen Form nach Jude war und Jude sein wollte. Das heißt: seine Auffassung vom Leben, seine Beziehung zu Gott, sein Gott, sein Bild vom Menschen, seine Vorstellung vom Gang der Zeit, sein Beten, seine Haltung zum Gesetz, seine Lebensart, alles an ihm war jüdisch. Seine Leidenschaft für ein neues Verhältnis zu Gott, seine Innigkeit zum Vater, das Neue, das er bringt, kommt nicht von außerhalb, sondern aus dem Judentum selbst. Daher konnten Juden unseres Jahrhunderts den Mann aus Galiläa aus dem Gefühl innerster Verwandtschaft ansprechen. Wie Franz Werfel: „Die Menschheit Christi ist Israel.“ oder Martin Buber: „Wir Juden kennen Jesus in einer Weise, die den Heiden verborgen ist.“
Wer Jesus kennen will, muss das Volk kennen, in das er gehört, seine Geschichte, seine Überlieferung (das AT), seine großen Gestalten, sein Leben, seine Seele und sein Schicksal bis heute. Jesus ist für den Christen nicht ohne sein Judentum zu haben. Er muss daher Abschied nehmen von einer langen Tradition, die aus Jesus ein internationales Subjekt, ein allgemeines Individuum gerecht hat, bis hin zu den Versuchen, einen russischen Christus (Dostojewski) oder einen Jesus des reinen, arischen Blutes zu dichten (christliche Theologen während des Nationalsozialismus). Wir müssen ihn aus seiner allgemeinen, vom Judentum gesäuberten Menschlichkeit zurückkehren lassen in sein Volk, zu seinem Charakter und seinem Gesicht, das er haben wollte. Was dabei aussieht wie eine Verengung, wie Vereinzelung und Beschränkung, ist die Wahrheit des konkreten Lebens Jesu, und ist der Wahrheit nach mehr als das Allgemeine, ideell über der Szene der Völker Schwebende. Denn so geht Jesus, den die Christen als den Sohn Gottes und Bruder aller Menschen verehren, wirklich ein in die Geschichte der Stämme, der Gruppen, in das unendliche Geflecht der Beziehungen, nicht von oben, sondern aus einer bestimmten Ecke der Welt.
Jesus war der Stein des Anstoßes, an ihm haben sich Juden und Christen getrennt, über seinem Namen sich ausgeschlossen und verfolgt. Aber er bleibt in der Mitte von Judenheit und Christenheit wie kein anderer Jude. Wir sehen heute besser, was Jesus noch mehr ist, noch mehr sein kann, wenn wir ihn lassen, von allen Seiten: der Prophet der Versöhnung, das Band, das Medium des Verstehens. Wenn auch mit bleibenden Unterschieden - beide können sich in ihm erkennen, die Juden wie die Christen, und sie können ihre Differenz aushalten nach dem Geist und der Regel Jesu. „Denn er ist unser Friede. Er hat die beiden zu einem einzigen Volk gemacht und die Mauer der Feindschaft, die sie voneinander getrennt hat, niedergerissen.“ (Eph 2,14)
Dominus flevit
„Als Jesus näher kam und die Stadt sah, weinte er über sie.“ (Lk 19,41) - Es gibt im Neuen Testament eine Trauer, die zum Tode führt (2 Kor 7,10), die aus der Verweigerung der Umkehr und der Nachfolge kommt, die das eigene Selbstsein nicht annehmen und so auch andere entwurzeln und zerstören will. Das Weinen kann auch ein kaltes und äußerliches Ritual sein. Es gibt die weichliche Trauer, die bei sich selbst stecken bleibt und die Aufmerksamkeit auf sich ziehen will.
Bei Jesus gibt es aber auch eine Traurigkeit, die von Gott kommt, die dem Leben und der Liebe Not tut. Er selbst ist ja kein Stoiker. Er weint über die Stadt Jerusalem, die nicht erkennt, was ihr Frieden bringt (Lk 19,41). Der Tod des Lazarus und der Schmerz der Angehörigen über diesen Tod bringen ihn zum Weinen (Joh 11,35). Jesus preist die Trauernden selig (Mt 5,4). So gibt es die Gabe der Tränen, die befreien, einen Schmerz, der mit keinem Vergnügen der Welt vertauschen wäre. Es gibt die gute Trauer, die der Solidarität und der Anteilnahme am Leben anderer entspringt: „Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art sind auch Trauer und Angst der Jünger Christi." (GS 1)
Vater unser und Ölberg
Jesus lehrt am Ölberg das Gebet „Vater unser“. Dieses Verhältnis zum Vater ist bei Jesus von einer unüberbietbaren Nähe, Innigkeit, Vertraulichkeit, ja Zärtlichkeit geprägt. Dies zeigt sich in seiner Abba-Anrede. Diese Gottes - Anrede Jesu ist in der ursprünglich aramäischen Form erhalten und wird am ehesten übersetzt mit Papa, Papi. Abba ist das Wort, mit dem ein Kind in aller Vertraulichkeit im Kreis der Familie seinen Vater anredete. Dieses Kinderwort, dieses Lall-Wort greift Jesus auf. Die Nähe Gottes zu uns wird radikalisiert, was dann noch Folgen hat für das Verhältnis der vielen Brüder und Schwestern, die gemeinsam zum einen Vater Abba sagen.
Aber es muss auch das andere hinzugefügt werden. Auch bei Jesus zeigt sich, dass der unüberbietbaren Nähe des Vaters auch eine Andersartigkeit, ein Geheimnis, eine Rätselhaftigkeit entspricht. Es ist bezeichnend, dass die Evangelien uns von der Abba-Anrede Jesu wörtlich nur berichten im Zusammenhang der Auseinandersetzung am Ölberg. Im Angesicht des furchtbaren Geschicks, das vor ihm liegt, spricht er: „Abba, alles ist dir möglich, nimm diesen Kelch von mir. Aber nicht wie ich will, sondern was du willst, soll geschehen“ (Mk 14,36). Hier sehen wir etwas ungemein Paradoxes. Für Jesus, der in dieser ganz zärtlichen Beziehung zu seinem Vater stand, bedeutete es Glück und Leben, mit dem Vater, vor dem Vater, vom Vater her zu leben, sich dem Vater zu übereignen, dem Abba. Aber dieser Vater macht einen befremdlichen gebrauch von dieser Lebensübergabe Jesu. Er nimmt den eigenen Sohn bis zum Letzten beim Wort, indem er ihn in den Tod führt. So wird dieses innige Verhältnis Jesu zum Vater zu einem Weg, an dessen Ende das Kreuz steht. Trotz dieser Erfahrung aber hält Jesus am Abba fest und wird nicht enttäuscht, wie es das Ereignis der Auferweckung zeigt.
Kreuzwege – Via Dolorosa
Zu Ostern gehört der dramatische Bogen vom Palmsonntag über den Gründonnerstag, den Karfreitag, den Karsamstag hin zum Ostermorgen, zur Freude der Auferstehung. Die ganze Spannbreite unseres Lebens kommt in Leben, Leiden, Sterben und Auferstehung Jesu vor. Sie sind ein Spiegel für uns und für unsere Beziehungen. Es klingt etwas von uns selbst und von unseren Erfahrungen mit. Und im Mitgehen erfahren wir Verwandlung und Aufbruch. Wir können
mit der Menge Hosanna rufen
mit der unbekannten Frau wertvolles Öl über das Haupt Jesu gießen
mit Jesus und den Jüngern Abendmahl feiern
mit Petrus schwören: Ich nicht
mit den Jüngern (wichtiges ver-) schlafen
mit Jesus schweigen
mit Petrus weinen
mit Pilatus die Hände in Unschuld waschen
mit der Menge schreien: Ans Kreuz mit ihm
mit Simon eine Last tragen
mit Veronika den Mut haben zu helfen
mit den Frauen trauern und weinen
mit den Jüngern flüchten
mit den Zuschauern spotten und höhnen
mit den Soldaten festnageln
mit dem Schächer schimpfen
mit Jesus schreien: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen
mit den Frauen unter dem Kreuz stehen
mit Jesus auferstehen
mit den Emmausjüngern unterwegs sein
mit Jesus leben
Entscheidend ist, dass wir den Weg mitgehen und aufmerksam sind bei der Freude und auch im Leiden. Die Passion Jesu kennt keine Zuschauer, keine reinen Beobachter, keine Konsumenten. Die Passion Jesu ist kein Theaterspiel mit einer Bühne vorne und dem Zuschauerraum hinten. Es zieht nicht ein Theaterstück an uns vorüber, nach dem wir dann sagen könnten, es sei schön, gelungen, ergreifend oder langweilig gewesen, die Rolle des einen war gut, die des anderen schlecht besetzt. Die Leidensgeschichte spielt sich nicht in einer Arena ab, wo es auf der einen Seite Akteure und Spieler gibt, auf den Rängen die Fans jolen und schreien. Die Passion Jesu ist keine Kinovorführung, die man nach ästhetischen oder kommerziellen Kriterien beurteilen könnte. Leiden und Sterben Jesu sind kein Gladiatorenkampf. Die Passion Jesu, lässt uns nicht in der Distanz einer Touristenführung, sie lässt uns nicht unbeteiligte Zuschauer sein.
Die Passion Jesu kennt nur Beteiligte. Wir sind selber hinein genommen und mit hineingezogen als Leidende, Spötter, Verspottete, Schläger und Geschlagene, Verleugnende, Verräter und Verratene, ins Abseits Gedrängte, Schreier und Verstummte, Barmherzige und Kalte, Distanzierte und Nahe, Suchende, Glaubende und Gottlose, Angenagelte, ob wir wollen oder nicht. Wir sind Beteiligte, Mitakteure, Mitspieler.
Wir können uns in die unterschiedlichen Personen der Leidensgeschichte Jesu hineindenken und hineinfühlen. Der Kreuzweg Jesu ist auch in unser Leben eingraviert. Jeder von uns hat eine Leidensbiographie, die Erinnerung an schmerzliche Ereignisse im Leben, die immer noch weh tun. Das kann eine Krise von Menschen in den besten Jahren sein, denen das Selbstwertgefühl zwischen den Fingern zerbröselt. Im Alter von gut 50 bekommen manche zu hören: du kommst uns zu teuer, wir können dich nicht mehr brauchen, du bist nicht mehr vermittelbar. Auch wenn viel für und mit Alten getan wird, so tut einfach sehr viel körperlich weh: Krankheit und Schmerzen. Psychisch nagt die Vereinsamung oder das Gefühl, nichts mehr wert zu sein. Andere machen die Erfahrung eine Nummer im Spiel der Mächtigen zu sein, Schachfiguren in einem grausamen Spiel. Verantwortliche fühlen sich in unmenschliche Gesetzmäßigkeiten und Sachzwänge eingespannt. Jugendliche stehen unter Leistungsdruck, Konsumzwang und haben Angst vor der Zukunft. Die Not hat viele Gesichter, viele Hände, viele Geschichten. Im Hören der Leidensgeschichte können wir eigenes Leid, unendlichen Schmerz, Stunden der Trostlosigkeit, der abgrundtiefen Einsamkeit oder der Krankheit wieder erleben.
Die Passion Jesu bietet keine Erklärung für die Leidenden, die Worte Jesu am Kreuz zerschmettern jede gescheite Deutung, jede Geschichtsphilosophie, welche das Leid einzelner in große Zusammenhänge einbindet. Es wird auch nicht gesagt, dass ab jetzt Leiden und Kreuz ein Ende haben und dass es ab übermorgen nur noch das Paradies gibt. Im Hören der Passion Jesu können wir einen Weggefährten für unser eigenes Leben finden. Im Mitgehen mit Jesus auf seinem Kreuzweg wird uns aber das ganz einfache Licht des Vertrauens geschenkt. Jesus bricht Resignation, Verbitterung und Verzweiflung im Leid auf und setzt das Leid in eine Beziehung zu Gott. Jesus nimmt dem Leiden die Auswegosigkeit.
Auf dem Kreuzweg Jesu stehen wir nicht nur auf der Seite derer, die helfen sollen oder wollen. Die Begegnung mit dem Leidensantlitz Jesu ist auch Gericht. Bei der Passion Jesu wird Gericht gehalten in einem mehrfachen Sinn. Wir sind nicht nur Opfer oder Ankläger und Richter, sondern auch Täter. Wir sollen uns in das Verhalten des Petrus, des Judas, der Soldaten, der Menge, der Schreier, des Pilatus ... hineindenken und hineinfühlen und eigene Anteile entdecken. Bequemlichkeit, Desinteresse, Gleichgültigkeit, ein Konsumdenken, das mit Menschen wie mit Waren umgeht, eine Beliebigkeit, die Treue und Wahrhaftigkeit verhöhnt, die Dumpfheit der Resignation, die sich verschließt und die Gott draußen sein lässt, bringen Gott zum Schweigen. Die Stimme Gottes im Evangelium wird als lästig empfunden, als schwärmerisch abgetan, auf die Seite geschoben. Das Kreuz Jesu ist Gericht über uns, es entlarvt vieler unserer Worte als fromme Lügen, es lässt manches von unserem sozialen Tun in seiner Hohlheit zusammenbrechen.
Jesus blickt uns wie Petrus traurig an. In diesem Blick liegt aber auch das Verzeihen, das zum Gericht Jesu gehört. Jesus sagt am Kreuz gerade nicht: Jetzt reicht es mir, ich schicke alle Menschen zum Teufel. Im Kreuz ist Vergebung. Jesus hat am Kreuz allen vergeben. Die Liebe Jesu am Kreuz ist die letzte jedes Nein, alle Verweigerung, alle Apathie, allen Hohn, alles Verurteilen, jeden Verrat, jede Untreue, jede Lüge und Gewalt umgreifende Bejahung. Jesus bringt die Vergebung und die Liebe in die letzte Spitze der Bosheit, in das Reich des Todes, in die Hölle hinein. Wenn wir uns von ihm wegdrehen und ihn zurücklassen, bewegen wir uns in eine Richtung, aus der er uns wieder von Angesicht zu Angesicht zukommt. Wenn wir ihm den Rücken zeigen, zeigt er uns sein Gesicht.
Und im Leidensantlitz Jesu spricht Gott uns Hoffnung zu. Wohl spiegelt das Antlitz die Katastrophen der Geschichte, wohl sind in diesem Antlitz die Wunden der Menschheit gebündelt. Durch sein Kreuz und seine Auferstehung fügt Jesus das Zerschlagene und die Zerschlagenen zusammen, holt er die Verlorenen heim, macht er die Kapputten lebendig, trocknet er die Tränen, gibt er den Toten Hoffnung.
Gottesdienst in der Dormitio mit Abt Gregory Collins. Evangelium: „Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt…“ (Mt 5,17-37, hier 22) - Die Wüstenväter haben Erfahrungen des Zorns als Kampf mit den Dämonen beschrieben: „Wenn ein Mönch durch Erfahrung die wilden Dämonen kennen lernen und sich mit ihrer Technik vertraut machen will, dann beobachte er die Gedanken, beachte ihre Dauer, ihr Nachlassen, ihre Verschlingungen, ihre Zeiten, und welche Dämonen dieses oder jenes tun, welcher Dämon welchem anderen folgt und welcher ihm nicht folgt. Und er erfrage von Christus die Gründe davon. In der Tat, die Dämonen können sie nicht ertragen, die mit Wissen an die Praxis herangehen, denn sie wollen im Dunkeln fangen, die rechten Herzens sind.“ Das Wissen um die Dämonen nimmt ihnen schon ihre Gefährlichkeit. Das Wissen ist aber Ergebnis einer langen und ehrlichen Beobachtung seiner selbst. Die Wüstenväter nennen zwei wirksame Waffen im Kampf gegen die Dämonen: Einmal ist es wichtig, den Dämon zu benennen. Die zweite Waffe ist die antirrhetische Methode: Wenn du versucht wirst, bete nicht, bevor du nicht voller Zorn einige Worte gegen den geschleudert hast, der dich bedrängt. Denn wenn deine Seele voller Gedanken ist, dann kann auch das Gebet nicht rein sein. Doch wenn du gegen die Gedanken etwas voll Zorn sagst, verwirrst und vertreibst du die Vorstellungen, die dir die Gegner eingegeben haben. Denn das ist die natürliche Wirkung des Zornes, dass er die Gedanken vertreibt, auch wenn es gute sind. Entscheidend für die antirrethische Methode ist also der sinnvolle Einsatz des Zornes. Der gute Gebrauch des Zorns liegt nun darin, ihn gegen die schlechten Gedanken einzusetzen.
Ain Karem
Rund sieben Kilometer vom Jaffator in Jerusalem entfernt, findet sich der Ort, wohin Maria sich aufmachte, um ihrer Verwandten Elisabeth, die im hohen Alter schwanger geworden war, beizustehen. Das Dorf „im Bergland von Jerusalem“ heißt heute Ain Karem. Übersetzt heißt dies soviel wie „Weinberg-Quelle“. Andere Übersetzungen meinen „gütige Quelle“.
Maria hat einen bedeutenden Platz im Glaubensleben der Christen. Ihre Empfängnis, ihre Geburt und ihre Vollendung sind ebenso mit liturgischen Festen verbunden wie z. B. ihr Besuch bei Elisabeth. Marianische Existenz ist von Jesus her geprägt durch leibliche Präsenz und Solidarität. Sie kennt die Nöte anderer, wie z.B. von Elisabeth und eröffnet Räume und Zeiten des Glaubens und der Hoffnung. Da gibt es kein kaltes Mein und Dein, weder im Hinblick auf materielle Güter, auch nicht im Hinblick auf das Tragen der Lasten. Denn: „Einer trage des anderen Last.“ (Gal 6,2). Das ist etwas Urchristliches: Die einen nehmen die anderen mit. Sie eröffnen Räume der Hoffnung und halten diese offen, wo diese bei anderen verschlossen sind, wo nichts mehr erwartet ist, weil der Schmerz zu groß, die Erschöpfung zu stark, die Zumutung des Leidens zu massiv war.
Nicht selten ist bei uns das Zusammenleben, das Miteinander durch Rivalität, durch Konkurrenz, durch Neid und Vergleich oder durch bloße Geschäfte geprägt. Rivalität richtet Grenzen auf zwischen Menschen und Völkern und erzeugt Feindbilder. Andere sind dabei Bedrohung, gar Feinde, oder sie werden verachtet, gering geschätzt. Es gibt das Schielen und Vergleichen, es gibt Konkurrenz und Rivalität, die Beziehungen nachhaltig vergiften. Wenn es mir nicht gut geht, dann darf es anderen auch nicht gut gehen, wenn ich das Leben zum Wegwerfen finde, dann muss ich es auch anderen vermiesen, wenn wir entwurzelt sind, dann dürfen auch andere keine Heimat mehr bekommen. Unsere Seitenblickegesellschaft, jene Gesellschaft, wo sich die Leute grenzenlos amüsieren, wo sie essen und trinken und lachen und flirten, diese Seitenblickegesellschaft steigert das Bewusstsein „dem anderen geht’s besser“ ins Unerträgliche. Und warum? Weil sie mich ständig zu einem neidischen Seitenblick verführt und zum Vergleich mit anderen zwingt. Weil das glückliche Leben ständig woanders ist, niemals in meinen Händen.
Maria und Elisabeth können einander groß machen und Raum geben. Zwischen Maria und Elisabeth ist keine Rivalität, keine Konkurrenz. Gott schreibt das Zeichen seiner Würde auf die Stirn eines jeden Menschen. Es ist Raum zum Leben und zum Wachsen da.
Johannes der Täufer
Wer bist du? „Ich bin nicht der Messias, sondern nur ein Gesandter, der ihm vorausgeht. ... Er muss wachsen, ich aber muss kleiner werden“ (Joh 3, 28-30). Wir sind mit Johannes dem Täufer nur Vorläufer, Stimme Christi, Wegbereiter. So gilt es neu Ausschau zu halten, neu zu verweisen, neu transparent für Ihn zu werden, neu die Grundausrichtung seines Zeigefingers (Isenheimer-Altar von Matthias Grünewald in Colmar) einzuüben. Er dreht sich nicht im Kreis des eigenen Ego, er ist nicht narzisstisch in das eigene Spiegelbild verliebt.
Johannes der Täufer wird als Zeuge bezeichnet, das hat sehr viel mit dem Zeigen zu tun. Seine Existenz ist die des Zeigefingers, nicht im Sinn des Anprangers, der Bedrohung, des Bloßstellens oder der Fixierung, sondern im Sinne von Weggeleit, Hinführung, Anwaltschaft, Lebenshilfe. Johannes der Täufer verweist auf Jesus und gibt die Menschen, die zu ihm kommen, Seine Begegnungen gehen so gesehen immer auch durch einen Verzicht, durch eine Relativierung hindurch. Dieses Abgeben ist nie leicht, besonders dann nicht, wenn man viel investiert hat und selbst mit der eigenen Person involviert ist. Wohl ist das Abgeben auch positiv, entlastend und befreiend zu verstehen; es entlastet aber auch von der Zwangsvorstellung, das Entscheidende selbst tun zu können oder zu müssen.
Wer bist du? Johannes verändert die Frage. Es geht nicht mehr um ihn allein, sondern um Beziehungen und um Jesus, der selbst der Zeuge und Gesendete ist, der Mensch für andere. Die Botschaft der Heiligen Schrift mutet uns zu, dass wir einander aufgetragen sind, einander Patron sind, füreinander sorgen, Verantwortung tragen, einander Hüter und Hirten sind. Das Evangelium traut uns zu, dass wir Freunde und Anwälte des Lebens sind, dass wir Lebensräume schaffen, in denen in die Enge getriebene Menschen Ja zum Leben sagen können.
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